Untersuchungshaft in Österreich: Was tun?
1. Auf den Punkt gebracht
Verhängung von Untersuchungshaft ist ein einschneidender Moment sowohl für den betroffenen Beschuldigten als auch dessen Angehörige. Unter U-Haft ist eine vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen einer Straftat während laufender Ermittlungen zu verstehen. Sie wird nur unter bestimmten Voraussetzungen wie dringendem Tatverdacht und Haftgründen wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr verhängt. Die Haft muss verhältnismäßig sein und kann durch mildere Mittel ersetzt werden. Gegen die Verhängung der U-Haft stehen mehrere Rechtsbehelfe zur Verfügung, allen voran der Enthaftungsantrag und die Haftbeschwerde. Von Matthias Hassenbauer und Dorian Schmelz.
2. Was versteht man unter Untersuchungshaft?
Bei der Untersuchungshaft, auch kurz U-Haft genannt, handelt es sich um eine vorläufige Inhaftierung eines Beschuldigten während der laufenden Ermittlungen. Die Verhängung der Untersuchungshaft ist ein einschneidender Moment sowohl für den betroffenen Beschuldigten als auch dessen Angehörigen, der das Leben aller Beteiligten schlagartig ändert.
3. Wann wird die Untersuchungshaft in Österreich verhängt?
3.1 Allgemeines
Die Untersuchungshaft darf nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhängt werden. Nachdem der Beschuldigte von der Kriminalpolizei festgenommen wurde, ist er ohne unnötigen Aufschub, längstens aber innerhalb von 48 Stunden nach seiner Festnahme, in die zuständige Justizanstalt einzuliefern. Anschließend hat unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von 48 Stunden nach Einlieferung in die Justizanstalt, eine Haftverhandlung stattzufinden. Dabei wird der Beschuldigte von einem Haftrichter sowohl zur Sache selbst als auch zu den Voraussetzungen der U-Haft befragt. Der Staatsanwalt und der Verteidiger sind dabei anwesend. Danach entscheidet der Haftrichter über die Verhängung der Untersuchungshaft.
Leichtfertige Aussagen des Beschuldigten während der Haftverhandlung können ihm später in der Hauptverhandlung schnell zum Verhängnis werden. Es ist deshalb wichtig, dass der Beschuldigte seine Aussagen wohl überlegt und bestenfalls nach einer ausführlichen Abstimmung mit seinem Verteidiger ablegt.
Da es sich bei der Inhaftierung eines Beschuldigten – und somit von einer Person, bei der keineswegs sicher ist, dass sie tatsächlich eine Straftat begangen hat – um eine der schwersten Maßnahmen handelt, welche die Strafverfolgungsbehörde ergreifen kann, ist deren Verhängung nur zulässig, wenn mehrere Voraussetzungen vorliegen:
3.2 Dringender Tatverdacht
Über einen Beschuldigten darf nur dann Untersuchungshaft verhängt werden, wenn er dringend verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Die Rechtsprechung versteht unter einem dringenden Tatverdacht einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die ihm angelastete Straftat begangen hat. Bloße Vermutungen reichen zur Annahme eines dringenden Tatverdachtes nicht aus (RIS-Justiz RS0107304). Nach der Vernehmung des Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter müssen die belastenden Momente stärker sein als die entlastenden (RIS-Justiz RS0040284).
3.3 Haftgrund
Eine weitere Voraussetzung der Untersuchungshaft ist das Vorliegen von zumindest einen der folgenden Haftgründe:
- Fluchtgefahr: Diese liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte wegen der drohenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchtet oder sich verborgen halten wird. Die U-Haft soll in diesem Fall sicherstellen, dass der Verdächtige während des laufenden Verfahrens weiterhin zur Verfügung steht und sich nicht faktisch der Strafverfolgung entziehen kann. Das Gesetz hält ausdrücklich fest, dass bei einer hinreichenden sozialen Integration (der Verdächtige lebt im Inland in geordneten Verhältnissen, hat also einen Wohnsitz und geht einem Beruf oder einer Ausbildung nach) grundsätzlich keine Fluchtgefahr vermutet wird. Anderes kann gelten, wenn die vorgeworfene Straftat mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Bei besonders schweren Delikten wird Fluchtgefahr umgekehrt vermutet, sodass bei diesen die Verhängung der Untersuchungshaft den Regelfall darstellt (zB beim Verdacht des Mordes).
- Tatbegehungsgefahr: Diese liegt vor, wenn der Beschuldigte einer Straftat verdächtigt wird, die mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist, und auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte eine neue Straftat begehen bzw. die bereits begonnene Straftat weiterführen wird. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die Person bereits mehrere Straftaten begangen hat und Anlass zu der Annahme besteht, dass sie weitere ähnliche Taten begehen könnte (zB laufende und daher gewerbsmäßige Diebstähle).
- Verdunkelungsgefahr: Diese liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte zu beeinflussen, Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlungen zu erschweren versuchen wird. Die Verdunkelungsgefahr muss "auf Grund bestimmter Tatsachen" anzunehmen sein, sodass rein spekulative Vermutungen nicht ausreichend sind.
3.4 Verhältnismäßigkeit & gelindere Mittel
Untersuchungshaft darf außerdem über den Beschuldigten nur verhängt werden, wenn sie nicht unverhältnismäßig zu der verdächtigten Straftat bzw. drohenden Strafe ist. Vereinfacht gesagt, darf eine Untersuchungshaft nicht leichtfertig wegen jeder „Kleinigkeit“ verhängt werden. Die Untersuchungshaft ist nach der ständigen Rechtsprechung bspw. dann unverhältnismäßig und damit unzulässig, wenn die Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder das Gericht gegen das Beschleunigungsverbot verstoßen haben, sprich, wenn es zu einer Verzögerung der Ermittlungen und deshalb zu einer längeren Untersuchungshaft kommt, als unbedingt nötig wäre (RIS-Justiz RS0120790).
Weiters ist die Untersuchungshaft unzulässig, wenn der Zweck der Haft – die Verhinderung der Flucht-, Verdunklungs- bzw. Tatbegehungsgefahr – durch gelindere Mittel erreicht werden kann. Als solche zählt das Gesetz zum Beispiel das Gelöbnis, nicht zu fliehen oder die Ermittlungen zu erschweren, die Erteilung von Weisungen, keinen Kontakt mit dem Opfer aufzunehmen oder an einem bestimmten Ort zu wohnen, oder auch die Leistung einer Kaution. Die Aufzählung der gelinderen Mittel ist im Gesetz jedoch beispielhaft genannt und sind auch andere gelindere Mittel als voranstehend genannt denkbar.
4. Was passiert, nachdem die Untersuchungshaft verhängt wurde?
Ist die Chance für den Beschuldigten, zeitnah wieder auf freien Fuß zu kommen, endgültig vorbei, wenn der Untersuchungsrichter die Untersuchungshaft verhängt hat?
Nein, denn auch nachdem der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft sitzt, gibt es nach wie vor verschiedene Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Die erste Gelegenheit dafür bietet sich für den Beschuldigten und dessen Verteidiger bereits nach kurzer Zeit. Denn die Entscheidung des Untersuchungsrichters, die Untersuchungshaft zu verhängen, ist nur für einen bestimmten Zeitraum wirksam (Haftfrist), danach ist verpflichtend eine neuerliche Haftverhandlung durchzuführen oder der Beschuldigte zu enthaften. Das hat innerhalb von gesetzlich genannten Fristen, erstmals 14 Tage ab Verhängung der Untersuchungshaft, zu erfolgen. Nachdem die Anklage von der Staatsanwaltschaft eingebracht wurde und damit durch die Hauptverhandlung eine endgültige Entscheidung in der Sache vor der Tür steht, ist die Untersuchungshaft durch die Haftfrist nicht mehr zeitlich begrenzt.
5. Was kann gegen die verhängte Untersuchungshaft getan werden?
5.1 Allgemeines
Neben den durch den Ablauf der Haftfrist neuerlichen Haftverhandlungen, gibt es noch weitere Möglichkeiten tätig zu werden, um ein Ende der Untersuchungshaft zu erreichen.
5.1 Enthaftungsantrag
Der Beschuldigte hat die Möglichkeit, jederzeit einen Antrag auf Enthaftung zu stellen. Es ist dann unverzüglich eine Haftverhandlung anzuberaumen, in welcher der Untersuchungsrichter über den Enthaftungsantrag entscheidet. Ein Enthaftungsantrag ist allerdings nur dann erfolgversprechend, wenn auf Seiten des Beschuldigten neue Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft nicht länger gegeben sind. Es ist deshalb insbesondere wichtig, dass der Beschuldigte zusammen mit seinem Verteidiger Schritte setzt, um eine soziale Integration (Arbeitsstelle, Wohngelegenheit etc.) zu gewährleisten und diese dem Untersuchungsrichter glaubhaft zu vermitteln. Dadurch können Haftgründe wegfallen bzw. gelindere Mittel in Frage kommen.
5.2 Haftbeschwerde
Gegen die Entscheidung des Untersuchungsrichters auf Verhängung bzw. auf Fortsetzung der Untersuchungshaft kann der Beschuldigte Haftbeschwerde erheben. Diese ist innerhalb von drei Tagen nach Verkündung der Entscheidung einzubringen. Das Oberlandesgericht entscheidet über die Beschwerde und damit darüber, ob die Untersuchungshaft fortzusetzen oder aufzuheben ist.
Eine Haftbeschwerde sollte vor allem dann wohl überlegt sein, wenn mit dieser der dringende Tatverdacht bekämpft werden soll. Es besteht diesfalls das Risiko, dass das Oberlandesgericht ausführlich bekräftigt, warum eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat, als dass er sie nicht begangen hat. Dies ist naturgemäß nicht von Vorteil für die spätere Hauptverhandlung - denn über das Urteil des Gerichts könnte in zweiter Instanz wiederum das Oberlandesgericht als Rechtsmittelgericht entscheiden und möchte sich diesfalls womöglich nicht selbst widersprechen.
5.3 Grundrechtsbeschwerde
Die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof ist ein Mittel, mit dem eine verhängte Untersuchungshaft nach Erschöpfung des Instanzenzuges bekämpft werden kann. Mit ihr wird geltend gemacht, dass der Beschuldigte in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung verletzt wurde. Eine solche Verletzung liegt insbesondere vor, wenn die Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft als solche bzw. deren Dauer unverhältnismäßig ist oder auch, wenn die Haftvoraussetzungen wie der Tatverdacht oder die Haftgründe unrichtig beurteilt wurden.
Da die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit bzw. des Vorliegens der Haftvoraussetzungen der Untersuchungshaft immer ein Stück weit eine Ermessensentscheidung ist, trifft der Oberstes Gerichtshof darüber keine originäre, neue Entscheidung, sondern überprüft nur, ob die Entscheidung des Gerichts sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen der einer Ermessensentscheidung befindet, die Erwägungsgründe des Gerichts also vertretbar sind. Ist dies der Fall und kam es daher durch das Gericht zu keinem Rechtsfehler, korrigiert der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts nicht (RIS-Justiz RS0121605).
5.4 Wie lange kann die Untersuchungshaft längstens dauern?
Bis zum Beginn der Hauptverhandlung darf die Untersuchungshaft höchstens zwei Monate dauern, wenn der Beschuldigte nur aus dem Haftgrund der Verdunklungsgefahr angehalten wird. Im Übrigen darf sie maximal sechs Monate, wegen des Verdachts eines Vergehens, ein Jahr wegen des Verdachts eines Verbrechens und zwei Jahre, wegen des Verdachts eines Verbrechens, das mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, dauern. Über sechs Monate hinaus darf die Untersuchungshaft jedoch nur dann aufrecht erhalten werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder besonderen Umfangs der Ermittlungen im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist.
6. Wir helfen weiter
Sollte ein Angehöriger von Ihnen in Untersuchungshaft genommen worden sein, ist rasche anwaltliche Hilfe essenziell. Zögern Sie daher nicht, uns in einem solchen Fall zu kontaktieren. Auch bei anderen strafrechtlichen Themen unterstützen wir Sie gerne: Egal, ob Sie Opfer einer Straftat geworden sind und es darum geht, Ihre Opferrechte durchsetzen, oder ob Sie beschuldigt werden, eine Straftat begangen zu haben: Wir helfen Ihnen in Ihrer herausfordernden Lage.