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Der Strafprozess in Österreich und Deutschland: Ein Vergleich

1. Auf den Punkt gebracht

Das Strafverfahren der beiden Nachbarländer Österreich und Deutschland läuft in weiten Teilen ähnlich ab. Beide Länder regeln den Ablauf des Verfahrens in der landeseigenen Strafprozessordnung (StPO). Dennoch lassen sich einige bemerkenswerte Unterschiede herausarbeiten: So kennt das deutsche Strafprozessrecht ein zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren eingezogenes Zwischenverfahren, das in Österreich nicht besteht und einer automatisierten nachprüfenden Kontrolle der Arbeit der Staatsanwaltschaft durch das Gericht dient. Hierzulande bietet umgekehrt die Diversion relativ weitgehende Möglichkeiten einer alternativen staatlichen Sanktion ohne negative Folgen einer Verurteilung, die der deutschen Strafprozessordnung fremd ist. Von Hannah Endraß und Dorian Schmelz.

2. Österreich

2.1 Ermittlungsverfahren

Soweit die Staatsanwaltschaft mit einem Fall befasst wurde, leitet sie das Ermittlungsverfahren. Sie kann dabei insbesondere Ermittlungen durch die Kriminalpolizei anordnen, aber auch selbst ermittelnd tätig werden, indem sie z.B. Zeugen einvernimmt oder Lokalaugenscheine vornimmt. Im Regelfall werden Ermittlungen jedoch weitgehend durch die Polizei, die der Staatsanwaltschaft gegenüber weisungsgebunden ist, durchgeführt und berichtet die Polizei anschließend der Staatsanwaltschaft über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen.

Wurde der Sachverhalt umfassend geklärt, sind mehrere Entscheidungen denkbar:

  • Es kann es sein, dass eine vorgeworfene Tathandlung überhaupt nicht strafbar ist, eine Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig ist oder kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten besteht. Diesfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein.
  • Ist der Sachverhalt hinreichend geklärt und übernimmt der Beschuldigte darüber hinaus die Verantwortung für sein Handeln, ist in minder schweren Fällen ein diversionelles Vorgehen möglich, bei dem der Beschuldigte bspw. zur Leistung einer Geldzahlung oder zu gemeinnütziger Arbeit verhalten wird. Nimmt der Beschuldigte dies an und erfüllt die ihm auferlegten Pflichten, tritt die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurück. Der Beschuldigte kann das Strafverfahren so auf verhältnismäßig milde Form und vor allem ohne Eintrag in das Strafregister beenden.

  • Seit 2015 gibt es die Möglichkeit des Mandatsverfahren, in dem Strafen durch schriftliche Strafverfügungen mit Zustimmung des Beschuldigten ohne vorausgehende Hauptverhandlung festgesetzt werden. Dem Mandatsverfahren kommt in praxi keine hohe Bedeutung zu.

  • Schließlich hat die Staatsanwaltschaft als dritte Möglichkeit Strafantrag bzw Anklage zu erheben, wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt und eine Verurteilung des Beschuldigten naheliegend ist.

     

    Ob die Staatsanwaltschaft einen Strafantrag oder eine Anklageschrift einbringt, hängt davon ab, welches Gericht für das Hauptverfahren zuständig ist und in welcher Besetzung. Die Zuständigkeit des Gerichts und seine Besetzung bestimmt sich im Wesentlichen nach der Strafdrohung des Delikts. Für Delikte mit niedrigen Strafdrohungen ist in der Regel der Einzelrichter zuständig; für Delikte mit hohen Strafdrohungen hingegen das Landesgericht als Schöffen- oder Geschworenengericht. Ist für das Hauptverfahren über eine strafbare Handlung der Einzelrichter des Bezirksgerichts oder der Einzelrichter des Landesgerichts zuständig, erhebt die Staatsanwaltschaft Strafantrag. Ist hingegen das Landesgericht als Schöffen- oder Geschworenengericht zuständig, wird von der Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift eingebracht.

    Der wesentliche Unterschied zwischen den ansonsten sehr ähnlichen Formen der Anklageerhebung (Strafantrag oder Anklageschrift) besteht darin, dass der Angeklagte gegen die Anklage einen eigenen Rechtsbehelf erheben kann, und zwar den Einspruch. Tut er dies nicht oder wird der Einspruch verworfen, wird die Anklageschrift rechtskräftig und der Weg zur Hauptverhandlung frei. Wird Strafantrag erhoben, ist gegen diesen kein Einspruch möglich, sondern wird direkt das Hauptverfahren eingeleitet.

2.2 Hauptverfahren

Zu Beginn des Hauptverfahrens wird die Hauptverhandlung vorbereitet: Etwa indem das Gericht Zeugen und Sachverständige lädt, Verteidiger, die noch nicht am Ermittlungsverfahren beteiligt waren, Akteneineinsicht nehmen und ihren Klienten und sich auf die Hauptverhandlung vorbereiten. In der letztgenannten werden der Angeklagte, insofern er nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, und Zeugen einvernommen, Sachverständige angehört, mitunter Gegenstände, etwa die Tatwaffe, in Augenschein genommen.

Die Hauptverhandlung ist von den Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit geprägt. Mündlichkeit bedeutet, dass kein Aktenverfahren durchgeführt wird, sondern eine mündliche Verhandlung, in der bspw. vorangegangene Schriftsätze zu verlesen sind. Die Unmittelbarkeit besteht darin, dass sich der erkennende Richter oder die erkennenden Richter direkt ein Bild machen und von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten überzeugen müssen. Beweise sind, soweit möglich, unmittelbar vor dem Gericht aufzunehmen, etwa indem Zeuge einzuvernehmen sind und sich ein Gericht nicht mit einer schriftlichen eidesstättigen Erklärung zufrieden geben soll. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung besteht insbesondere auch in der Volksöffentlichkeit: Jeder und jede kann der Verhandlung beiwohnen. In bestimmten Fällen können Teile der Hauptverhandlung nicht volksöffentlich abgehalten werden.

Am Ende der Hauptverhandlung wird nach den Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft, eines allfälligen Privatbeteiligtenvertreters und der Verteidigung, dem letzten Wort des Angeklagten und anschließenden Beratungen des Gericht mündlich das Urteil verkündet.

2.3 Rechtsmittelverfahren

Gegen das Urteil des Strafgerichts steht der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und/oder der Berufung offen. Welches Rechtsmittel zu wählen ist, hängt davon ab, welches Gericht in welcher Besetzung in erster Instanz entschieden hat, sowie davon, welcher Rechtsmittelgrund geltend gemacht und was vom Rechtsmittelgericht begehrt wird. Während sich die Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof richtet, entscheidet über die Berufung das der ersten Instanz hierarchisch übergeordnete Gericht, also das Landesgericht oder das Oberlandesgericht.

Durch Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung kann entweder das Urteil dem Grunde nach angefochten werden, weil Verfahrensmängel oder inhaltliche Mängel des Urteils behauptet werden, oder es kann das Strafausmaß bekämpft werden.

3. Deutschland

3.1 Ermittlungsverfahren

Zweck des Ermittlungsverfahrens in Deutschland ist es, sowohl be- als auch entlastende Beweise hinsichtlich des anfänglichen Tatvorwurfs zu sammeln. Die Staatsanwaltschaft tritt dabei als „objektivste Behörde der Welt“ auf. Sie ist Herrin des Ermittlungsverfahrens und kann sich in diesem der in §§ 81- 163 dtStPO geregelten Ermittlungsmaßnahmen bedienen. Auf Grundlage der gesammelten Beweise entscheidet die Staatsanwaltschaft abschließend, sofern sie die Ermittlungen für ausreichend hält, ob Anklage erhoben werden soll, oder nicht.

Das Ermittlungsverfahren kann durch Anklageerhebung, Einstellung oder Strafbefehlserlass beendet werden.

  • Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung über die Anklageerhebung ist der sogenannte hinreichende Tatverdacht. Dieser ist gegeben, wenn die vorliegende Beweissituation die Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher erscheinen lässt als seine Freisprechung. Liegt der hinreichende Tatverdacht vor, so erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten und beantragt die Eröffnung des Hauptverfahrens beim zuständigen Gericht.

  • Fehlt es hingegen am hinreichenden Tatverdacht, so ist das Verfahren gemäß § 170 Abs 2 dtStPO einzustellen. Die Einstellung stellt im Ermittlungsverfahren sozusagen das Pendant des Freispruchs im Hauptverfahren dar. Neben diesen Einstellungsvarianten kann die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zudem aus Opportunitätsgründen einstellen. So werden z.B. in der Regel Bagatelldelikte von Ersttätern wegen Geringfügigkeit eingestellt.

  • Ferner kann ein Verfahren auch gemäß § 153a dtStPO nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen, beispielsweise in Form von Geldstrafen oder Verrichtung gemeinnütziger Arbeit, eingestellt werden.

  • Anstatt Anklage zu erheben, kann die Staatsanwaltschaft bei Abschluss des Ermittlungsverfahrens in Deutschland auch einen Antrag auf Strafbefehl stellen, welcher dann vom Gericht erlassen wird. Der schriftliche Strafbefehl ergeht ohne mündliche Verhandlung direkt an den Beschuldigten. Dies allerdings nur bei bestimmten Vergehen, und zwar Delikten, die mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von maximal einem Jahr bedroht sind und sofern die Aktenlage so eindeutig ist, dass keine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich erscheint. Das Strafbefehlsverfahren stellt also eine Beschleunigung des Strafverfahrens im Lichte der Verfahrensökonomie dar. Es ist ein summarisches Verfahren, mit dem Fälle minder schwerer Kriminalität schnell und unkompliziert abgehandelt werden können. Da sich der Beschuldigte nicht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Vorwürfen äußern kann, steht ihm gegen den Strafbefehl das Rechtsinstitut des Einspruchs zur Verfügung. Wird kein Einspruch eingelegt, wird der Strafbefehl rechtskräftig und die Strafe kann direkt vollstreckt werden. Das Verfahren wird mithin also stark abgekürzt. Das Strafbefehlsverfahren erfreut sich deshalb in der deutschen Verfahrenspraxis großer Beliebtheit und ist wesentlich praxisrelevanter als das österreichische Mandatsverfahren.

3.2 Zwischenverfahren

Während in Österreich mit Einbringung der Anklageschrift nahtlos das Hauptverfahren beginnt, wird in Deutschland noch ein weiterer Verfahrensschritt „zwischengeschalten“, das sog. Zwischenverfahren.

Nachdem die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift an das zuständige Gericht weitergeleitet hat, prüft dieses nun erneut selbständig die Anklageschrift, um zu entscheiden, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist, oder nicht. Geht das Gericht davon aus, dass die Anklageschrift nicht zu beanstanden ist und insbesondere ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, so erlässt es einen Eröffnungsbeschluss. Sofern es die Anklageschrift jedoch als fehler- oder mangelhaft erachtet, ergeht ein Ablehnungsbeschluss. Der Eröffnungsbeschluss ist unanfechtbar, der Ablehnungsbeschluss kann von der Staatsanwaltschaft bekämpft werden.

Der Sinn dieses zusätzlichen Zwischenverfahrens liegt darin, dass das Gericht als unabhängige zweite Instanz noch einmal überprüfen soll, ob hinreichende Verdachtsgründe vorliegen, bevor eine Hauptverhandlung durchgeführt wird. Dies erscheint nicht nur prozessökonomisch, da die Gerichte so davon entlastet werden, wegen völlig unzureichender Anklageschriften tätig zu werden. Das Vorgehen steht auch im Interesse des Beschulidgten, da eine Hauptverhandlung mit schweren persönlichen Nachteilen einhergehen kann, selbst wenn in dieser ein Freispruch erfolgt. Dem Zwischenverfahren kommt somit eine Filterfunktion zu. Entscheidend ist zudem, dass das Gericht im Rahmen der Überprüfung grundsätzlich nicht an die Anträge der Staatsanwaltschaft gebunden ist. Das Gericht kann also auch entgegen der Überzeugungen der Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommen, dass das Verfahren eingestellt wird oder in seinem Eröffnungsbeschluss inhaltlich von der Anklageschrift abweichen. Sohin erfüllt das Zwischenverfahren auch eine Kontrollfunktion.

Im Rahmen des Zwischenverfahrens ist die Anklageschrift zudem dem Angeschuldigten zuzuleiten. Ihm steht dabei die Möglichkeit zu, sich dazu zu äußern und ggf. Beweisanträge zu stellen oder Einwendungen vorzubringen. Dieses Instrument kommt dem Einspruch gegen die Anklageschrift in Österreich nahe.

3.3 Hauptverfahren

Mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses beginnt sodann das „Herzstück“ des Strafverfahrens, das Hauptverfahren. Hierbei sind die Amtsgerichte, Landgerichte sowie Oberlandesgerichte in erster Instanz zuständig. eim Ablauf der Hauptverhandlung ergeben sich keine gravierenden Unterschiede zum österreichischen Verfahren.

3.4 Rechtsmittelverfahren

Gegen das Urteil des Strafgerichts erster Instanz kann von Staatsanwaltschaft oder Verurteilem einerseits Berufung erhoben werden, um eine Abänderung des Urteils erster Instanz zu erreichen. Andererseits kann durch das Rechtsmittel der Revision eine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Erstgericht begehrt werden. Während durch die Berufung insbesondere eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung bzw mangelhafte Beweiswürdigung geltend gemacht werden, stehen bei der Revision Rechtsfehler im Vordergrund.

4. Abschließender Vergleich

Insgesamt ist der Strafpprozess in Österreich und Deutschland ähnlich ausgestaltet. Ein Vergleich zeigt aber auch zahlreiche terminologische Unterschiede, wenngleichdie Grundsätze der Verfahren in weiten Teilen vergleichbar sind. Ungeachtet dessen bestehen einige signifikatnte Unterschiede:

  • Die durchschnitliche Dauer des Ermittlungsverfahrens in Österreich fällt spürbar geringer aus als jene in Deutschland: Sie beträgt im Durchschnitt nur 3,6 Monate. Der BUWOG-Prozess und ähnliche clamoröse Verfahren, die eine in der Tat rechtsstaatlich bedenkliche Verfahrensdauer aufweisen, sind in Österreich erfreulicher Weise Ausnahmen.

  • Das deutsche Zwischenverfahren ist der österreichischen Strafprozessordnung unbekannt. Eine Art „doppelten Boden“ einzubauen, um eine unabhängige erneute Überprüfung der Anklageschrift zu garantieren, erscheint prozessökonomisch und rechtsstaatlich als sinnvoll. Eine vergleichbare Kontrollfunktion bietet das österreichische Recht in Form des Einspruchs gegen die Anklageschrift, während gegen einen Strafantrag kein Einspruch offen steht, sondern eine gewisse amtswegige Überprüfung durch das Gericht nach § 485 öStPO erfolgt.

  • Die österreichische Diversion ist wiederum nach deutschem Recht als solche nicht bekannt, inhaltlich aber der deutschen Opportunitätseinstellung nach § 153a dtStPO ähnlich. In beiden Fällen können gelindere Mittel als Freiheitsstrafen (z.B. gemeinnützige Arbeit) verhängt werden, um minder schweren Straftaten zu erledigen; jedoch unterscheiden sich die Institute in ihren Voraussetzungen. Während bei der Diversion ein Offizialdelikt, ein hinreichend geklärter Sachverhalt, keine schwere Straftat, kein Tod eines Menschen, keine schwere Schuld oder präventiven Bedenken sowie die Einwilligung als Voraussetzungen vorliegen müssen, kommt die Einstellung nach § 153a dtStPO nur unter strengeren Voraussetzungen und in engeren Rahmen in Betracht.

5. Wir helfen weiter

Sollten Sie Opfer einer Straftat geworden sein oder beschuldigt werden, eine Straftat begangen zu haben, helfen wir Ihnen gerne weiter: Im erstgenannten Fall, indem wir Ihre Opferrechte durchsetzen und bspw. bereits im Strafverfahren auf kostenschonende Art und Weise Schadenersatzansprüche geltend machen können, im zweitgenannten Fall durch eine effektive Verteidigung Ihrer Rechte. Lesen Sie hier mehr zu unserem Leistungsspektrum.

 

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