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Public Viewing: Jubelnde Gäste, leidende Nachbarn

1. Auf den Punkt gebracht

Mit dem Start der Europameisterschaft 2024 finden in zahlreichen Städten Public Viewing Events statt, die zu Lärmbelästigungen für Anrainer führen können. Gastgewerbe, die solche Veranstaltungen anbieten, betreiben in aller Regel eine gewerbliche Tätigkeit und ihre Anlagen sind genehmigungspflichtig. Auch Änderungen bereits genehmigter Gastrobetriebe sind an sich genehmigungspflichtig, können allerdings genehmigungsfrei sein, sofern bestimmte Voraussetzungen für die Anwendung einer gesetzlichen Ausnahmebestimmung vorliegen. Anrainer, die durch Lärm gestört werden, können gegenüber dem Emittenten unter Umständen einen Anspruch auf Ausgleich ihrer erlittenen Nachteile durch Geld haben, selbst wenn die EM-Übertragung im Gastgarten gewerberechtlich zulässig ist. Von Vanessa Fohn und Dorian Schmelz.

2. Anpfiff!

Am 14.6.2024 hat die Europameisterschaft 2024 gestartet und die ganze Welt fiebert mit. Damit tausende Fans auch das Gefühl haben hautnah dabei zu sein, wird in zahlreichen Städten das Spiel live im Freien übertragen. Auch in Österreich können sich Fußballbegeisterte freuen: Bei freiem Zutritt werden die Fußballspiele live am Rathausplatz auf einer großen Leinwand zu sehen sein. Bei Speis und Trank kann man das Spiel auch in diversen Gaststätten genießen. Lärm ist vorprogrammiert, was so manchem Anrainer ein Dorn im Auge sein wird. Jubelnde Gäste, leidende Nachbarn also?

In diesem Artikel wollen wir uns nun mit der Frage beschäftigten, ob das Aufstellen einer Leinwand in einem Gastgewerbe eine Änderung einer genehmigungspflichtigen Betriebsanlage im Sinne der GewO darstellt und ob gegebenenfalls die Anrainer gegen Lärmentwicklung vorgehen können.

3. Gewerbliche Tätigkeit

Das Recht der Betriebsanlagengenehmigung ist in der Gewerbeordnung (GewO) geregelt. Ihre Anwendung setzt das Vorliegen einer gewerblichen Tätigkeit voraus,  die selbstständig, regelmäßig und mit der Absicht betrieben wird, einen wirtschaftlichen Vorteil oder Ertrag zu erzielen.

Ein Gastgewerbe übt seine Tätigkeit selbstständig aus, wenn der Betreiber auf eigene Gefahr und Rechnung handelt, was typischerweise der Fall sein wird. Ein Restaurant oder eine Bar werden auch regelmäßig betrieben, zumal Regelmäßigkeit auch bei einmaligen Tätigkeiten anzunehmen ist, wenn der Betreiber zumindest die Absicht hat, die Tätigkeit zu wiederholen - diesfalls ist also bereits die erstmalige Tätigkeit gewerblich, und zwar selbst dann, wenn aufgrund unerwarteter Wendungen anschließend eine Wiederholung unterbleibt. Auch die Absicht eines Gastronomen, einen wirtschaftlichen Vorteil oder Ertrag zu erzielen, ist wohl mehr oder weniger ausnahmslos gegeben, verfolgen Gastronomen in der Regel keine rein altruistischen Motive.

Ergebnis: Bei einem Gastgewerbe handelt es sich klassisch um eine gewerbliche Tätigkeit, egal ob als Restaurant, Café oder Barbetrieb ausgestaltet.

4. Die Betriebsanlage

In einem weiteren Schritt muss geprüft werden, ob es sich bei Gastgewerben, die Public Viewing anbieten, um eine Betriebsanlage handelt. Bei einer Betriebsanlage im Sinn von § 74 Abs 1 GewO handelt es sich um eine örtlich gebundene Einrichtung, die zur Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit dient und nicht bloß vorübergehend besteht. Hierzu zählen Einrichtungen, die mechanische oder technische Vorrichtungen verwenden, oder Anlagen, die durch ihre Beschaffenheit oder Betriebsweise Gefahren, Belästigungen, Beeinträchtigungen der Gesundheit oder Beeinträchtigungen des Allgemeinwohls hervorrufen können.

Ein Public Viewing Event erfüllt diese Voraussetzungen dann, wenn es örtlich gebunden ist (etwa weil die Fußballübertragung im Gastgarten eines Lokals statt findet), technische Vorrichtungen nutzt (Bildschirm, Lautsprecher, Beleuchtung usw.) und das Risiko einer Gefährdung oder Belästigung der Allgemeinheit (also von Zusehern und Gästen, aber auch von unbeteiligten Anrainern) mit sich bringt.

In seiner ständigen Rechtsprechung geht der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) davon aus, dass eine Genehmigungspflicht bei Anlagen besteht, die die Möglichkeit mit sich bringen, den Nachbarn durch eine Einrichtung im Freien zu belästigen. Das ist bei einer im Freien aufgestellten Leinwand samt visueller und akustischer Übertragung von Fußballspielen in aller Regel gegeben.

5. Ist die Änderung einer Anlage genehmigungspflichtig?

Betriebsanlagen können, müssen aber nicht zwingend genehmigungspflichtig sein, was sinngemäß für die Erweiterung oder Änderung einer bestehenden Betriebsanlage gilt.

Als Optimisten gehen wir davon aus, dass Gastgewerbe im Allgemeinen vor Aufnahme ihres Betriebs bereits eine Genehmigung beantragt und auch erhalten haben. Jedoch kommt es durch das Aufstellen einer Leinwand im Gastgarten eines Lokals zu einer Veränderung des Betriebs; eine solche muss grundsätzlich neu genehmigt werden. Durch den bei Public Viewing ausgehenden Lärm ist es nämlich möglich, dass die in § 74 Abs 2 GewO umschriebenen Interessen von Nachbarn nicht mehr gewahrt werden können.

Allerdings kann im Anlassfall die Ausnahmehregel nach § 81 Abs 2 Z 11 GewO eingreifen: Änderungen von vorübergehender, vier Wochen nicht überschreitender Dauer, die keine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Personen bewirken und aus Anlass von Ereignissen oder Veranstaltungen, die in kulturellem oder sportlichem Interesse überregional breiter Kreise der Bevölkerung stattfinden, bedürfen ausnahmsweise keiner neuen Genehmigung und sind gegenüber der Gewerbebehörde auch nicht anzeigepflichtig. Die Übertragung eines sportlichen Großereignisses wie einer Europa- oder Weltmeisterschaft in einem Breitensport wie Fußball stellt unserer Ansicht nach zweifellos eine Sportveranstaltung von überregionalem Interesse breiter Bevölkerungskreise dar. Sofern das Public Viewing den Zeitraum von vier Wochen nicht überschreitet, besteht somit für einen (genehmigten) Gastronomiebetrieb kein gesonderter Handlungsbedarf in gewerberechtlicher Hinsicht.

Anderes kann sich übrigens aus Spezialgesetzen der Bundesländer ergeben. Das Wiener Veranstaltungsgesetz sieht in seinem § 4 Abs 1 Z 1 bspw. vor, dass bei Veranstaltungen, an denen insgesamt 300 oder mehr Besucher gleichzeitig teilnehmen können (sic!), eine Meldung an die zuständige Behörde vorzunehmen ist.

6. Schlaflose Nächte für Anrainer

Müssen sich bedauernswerte Anrainer, die Fußball allenfalls ablehnend gegenüber stehen, aber durch die Europameisterschaft infolge eines nahegelegenen Gastronomiebetriebs akustisch und/oder visuell zwangsbeglückt werden, ihrem Schicksal in rechtlicher Hinsicht beugen?

Nicht ganz: Denn das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch gewährt einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch (§ 364 ABGB). Anrainer unterfallen im Regelfall dem gesetzlichen Nachbarbegriff. Dabei ist es nicht entscheidend, ob das vom Anrainer bewohnte Grundstück unmittelbar an der Gaststätte angrenzt oder sich das emittierende Lokal sogar im eigenen Wohnhaus befindet, sondern ob der Lärm auf das Grundstück oder in die Wohnung des Gestörten dringt. Wird durch die durch Public Viewing ausgehende Beeinträchtigung das gewöhnliche Maß, also die ortsübliche und typische Lärmbeeinträchtigung, überschritten und dadurch die Nutzung der Wohneinheit des Gestörten wesentlich beeinträchtigt, etwa weil der Lärm so laut ist, dass das Wohnen und Schlafen im betroffenen Haus erheblich gestört wird, kann dem Gestörten gegenüber dem Emittenten ein Ausgleichsanspruch in Geldform zustehen.

7.  Wir helfen weiter

Sie sind Gastronom und haben Troubles mit Ihren Anrainern? Oder wohnen Sie nahe einem Lokal, dessen Geräuschemissionen Ihr Nervenkleid belasten? Dann wenden Sie sich gerne an uns. Wir unterstützen Unternehmer umfassend bei der Aufnahme und rechtskonformen Ausgestaltung Ihres Betriebs, ebenso wie Personen, die durch die rechtswidrige Art des Betriebs eines Unternehmens in Ihren Rechten verletzt werden.

 

 

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