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Lügendetektor: Zwischen Hollywood und Rechtsstaat

1. Auf den Punkt gebracht

Polygraphen (umgangssprachlich: Lügendetektoren) sind Geräte zur Messung und Darstellung von Reaktionen des vegetativen Nervensystems eines Menschen auf externe Reize, die in der Regel in Form von Fragen gebildet werden. Aus der physiologischen Reaktion des Probanden können zuverlässig Rückschlüsse auf dessen Stressniveau gezogen werden; weiterführende Folgerungen, worauf der detektierte Stress zurückzuführen ist, hat eine interpretierende Instanz, etwa ein Versuchsleiter, zu ziehen, wobei diese Auslegung nur begrenzt zuverlässig ist. Je nach Versuchsaufbau können direkte Verfahren (allen voran der in der Praxis weit verbreitete Kontrollfragentest) und indirekte Verfahren (wie etwa der Tatwissenstest) unterschieden werden, die im Hinblick auf die Erkennung von schuldigen (lügenden) und unschuldigen (nicht lügenden) Probanden deutlich unterschiedliche Validität aufweisen.

Polygraphen finden in zahlreichen Ländern, etwa den USA und Kanada, sowohl vor Sicherheitsbehörden und Gerichten, als auch in der Privatwirtschaft Verwendung. In Österreich und in Deutschland ist die Verwertung eines Lügendetektortests als Beweismittel vor Zivil- und Strafgerichten unzulässig, und zwar selbst dann, wenn sich eine Partei oder ein Zeuge freiwillig der Untersuchung unterzieht, was rechtsstaatlich als bedenklich erscheint. Von Dorian Schmelz.

2. Was ist ein Polygraph?

Wir kennen sie alle aus Hollywood-Filmen: Lügendetektoren. Kaum ein Thriller, kaum eine Krimiserie überlebt ohne sie als Filmrequisite. Aber was ist ein Lügendetektor eigentlich - und kann er Lügen wirklich aufdecken?

Polygraphen (griechisch für "Vielschreiber"), umgangssprachlich als Lügendetektoren bekannt, sind Instrumente, die zur Messung verschiedener physiologischer Parameter verwendet werden, um Stress zu erkennen und daraus Indizien dafür abzuleiten, ob eine Person die Wahrheit sagt oder lügt, eine Tat begangen hat oder unschuldig ist. Die gebräuchlichsten physiologischen Parameter, die von einem Polygraphen gemessen werden, sind die Atemfrequenz, der Blutdruck, die Hautleitfähigkeit und die Herzfrequenz.

Uns ist allen aus Eigenbeobachtung bekannt, dass wir schneller atmen, unser Puls und unser Blutdruck ansteigen, wenn wir unter Stress stehen, sei es, dass wir Sport betreiben, mit einer Person sprechen, für die wir amoröse Gefühle entwickelt haben, oder von unserem Partner einer kleinen Notlüge überführt werden. Auch die Hautleitfähigkeit lässt Rückschlüsse auf unser Stressniveau zu, denn die Stromdurchleitung wird durch Schweißsekretion gefördert. Stress, der sich in Angstschweiß äußert, wird über die Hautleitfähigkeit messbar.

Der Hauptgedanke hinter einem Polygraphentest ist, dass Lügen bei der lügenden Person in der Regel zu - zumindest minimal - erhöhtem Stress und dieser zu kaum beherrschbaren physiologischen Reaktionen führt. Sinngemäßes gilt, wenn der Täter mit "Insiderwissen" der Tat konfrontiert wird. Wenn ein Polygraph ausschlägt, bedeutet dies somit einzig und allein, dass eine spezifische Frage im Vergleich zu anderen Fragen eine überdurchschnittliche Reaktion des vegetativen Nervensystems auf Seiten des getesteten Menschen auslöst. Warum dies der Fall ist, kann kein Polygraph interpretieren, sondern ist Aufgabe der anwendenden Person.

Die Annahme einer detektierbaren Stressreaktion eines Lügner gilt aber nicht ausnahmslos: Physiologische Reaktionen können sowohl bei an bestimmten physischen oder psychischen Erkrankungen leidenden Personen nicht normgerecht ausfallen, als auch bei ganz gesunden Personen, wenn diese zwar Lügen, bei denen die konkrete Lüge aber zu keiner emotionalen Reaktion führt, etwa weil der Gegenstand der Lüge völlig nebensächlich ist. Auch die Einnahme bewusstseinsverändernder Substanzen kann signifikanten Einfluss auf unser Nervensystem haben und daher Ergebnisse einer Untersuchung mittels Polygraphen verzerren. Letztlich darf nicht übersehen werden, dass gerade Unschuldige Personen, denen der Vorwurf einer verbotenen Verhaltensweise gemacht wird, unter Umständen starke Stressreaktionen zeigen, sei es aufgrund der Angst vor den drohenden Konsequenzen, sei es aufgrund eigener Gerechtigkeitserwägungen (Othello-Effekt).

Die Verwendung von Polygraphen kann einige positive Effekte mit sich bringen. Dazu zählt die schnelle und verhältnismäßig leichte Anwendung des in seiner Anschaffung und Anwendung zudem nicht besonders teuren Polygraphen - nicht zu verwechseln mit der anspruchsvollen Auswertung der Testergebnisse, die, wie unten noch gezeigt wird, mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist. Den Vorteilen stehen umgekehrt zahlreiche Nachteile gegenüber, zu denen ethische Fragen ebenso zählen wie im Detail uneinheitliche Studienergebnisse und Dissens im wissenschaftlichen Diskurs. Hierauf wollen wir nachstehend eingehen.

3. Wie wird der Polygraph angewendet?

3.1 Direkte Verfahren

Das praktisch bedeutsamste direkte Verfahren ist der Kontrollfragentest. Bei diesem werden einerseits sich unmittelbar auf die Tat beziehende Fragen gestellt (direkte Fragen), zum anderen Fragen, die nicht die befragungsgegenständliche Tat, sondern Verhaltensweisen betreffen, die gemeinhin als verwerflich angesehen werden (Kontrollfragen). Völlig neutrale Fragen runden als dritter Fragentypus den Kontrollfragentest ab und dienen als Referenzwert für das grundsätzliche emootionale Niveau des Probanden. Konzeptuell reagieren Täter auf die Tat betreffenden Fragen stärker emotional, unschuldige Personen hingegen auf die Kontrollfrage.

Dem Kontrollfragentest zufolge könnte der Proband etwa gefragt werden, ob er seine Frau erstochen habe (direkte Frage), um die physiologische Reaktion auf diese Frage der physiologischen Reaktion auf eine Kontrollfrage gegenüber zu stellen. Als Letztgenannte könnte die Frage gelten, ob der Proband bereits einmal einem Lebewesen absichtlich körperlichen Schmerz zugefügt habe. Als neutrale Frage könnte das Geburtsdatum der befragten Person eruiert werden.

3.2 Indirekte Verfahren

Den direkten Verfahren sind die indirekten gegenüber zu stellen, zu denen der Tatwissenstest zählt. Bei diesem werden systematisch nach Multiple-Choice-Muster Fragen zur Tatbegehung gestellt, um herauszufinden, ob die befragte Person tatrelevantes Spezialwissen hat, das eine außenstehende Person nicht haben kann.

Unser bereits im Vorabsatz eingeführter Proband könnte etwa gefragt werden, womit er seine Frau erstochen habe, und zwar (a) durch ein Küchenmesser, (b) durch eine Machete oder (c) durch ein Klappmesser. Wesentlich ist, dass alle Optionen zur Beantwortung der Frage gleichermaßen plausibel sind und Probanden das abgefragte Spezialwissen nicht aus zulässiger Quelle, etwa Medienberichte, erlangt haben dürfen. Werden verschiedene Tatverdächtige mit der soeben gestellten Frage konfrontiert, ist davon auszugehen, dass der tatsächliche Täter auf die faktisch zutreffende Antwortoption stärker emotional reagiert als auch die nicht zutreffenden Antwortmöglichkeiten, während Befragte, die die Tat nicht begangen haben, auf sämtliche Antwortmöglichkeiten sehr ähnliche physiologische Reaktionen zeigen werden.

4. Warum ist die Verwendung von Polygraphen problematisch?

4.1 Gütekriterien wissenschaftlicher Tests

Wissenschaftliche Tests werden anhand mehrerer zentraler Kriterien gewürdigt: Die Validität beschreibt, ob ein Test geeignet ist, das zu messen, was gemessen werden soll. Die Reliabilität betrifft die Frage, ob ein Test unter gleichen Bedingungen zu gleichen Ergebnissen führt.Das Kriterium der Objektivität definiert letztlich, ob ein Test unter sonst gleichen Bedingungen zu gleichen Ergebnissen führt, wenn er von verschiedenen Personen durchgeführt wird. 

Wurden vermeintliche Hexen im Mittelalter der Wasserprobe unterzogen - also mit Händen überkreuz an ihre Füße gebunden ins Wasser geworfen - und sanken im Wasser herab, konnte der Vorwurf der Hexerei erleichtert ad acta gelegt werden. Untersuchungen verschiedener Hexenproben ergabe, dass die Quote der Hexen unter allen untersuchten Frauen gering war: Fast alle der Hexerei verdächtigen Frauen gingen unter - und zwar unabhängig von der Person des Richters und bei gleichen Bedingungen immer wieder. Die Reliabilität und die Objektivität der Hexenprobe ist daher als beeindruckend einzuschätzen.

War die Hexenprobe deshalb ein hochwertiges Testverfahren? Natürlich nicht, denn sie maß nicht, was sie zu messen vorgab, nämlich, ob eine ihr unterzogene Person eine Hexe war. Das fehlende Kriterium der Validität stacht die gegebenen Kriterien der Reliabilität und Objektivität aus. Dieses Beispiel soll zeigen, dass ein wissenschaftlichen Anforderungen entsprechendes Testverfahren immer allen drei obgenannten Kriterien entsprechen muss, während die starke Ausprägung eines oder zweier Kriterien das Fehlen des dritten Kriteriums nicht auszugleichen vermag. Legen wir das nun auf Polygraphen um.

4.2 Validität

Die Validität hat drei verschiedene Aspekte:

Die Konstruktvalidität betrifft die Frage, ob ein Test das misst, was er zu messen vorgibt. Versteht man Tests mit Polygraphen als solche, die ausschließlich unterschiedliche Stressniveaus von Probanden erfassen sollen, ist von Konstruktvalidität auszugehen; vermeint man jedoch, aus dem Ergebnis des "Stress-Tests" Lügen ableiten oder Täter überführen zu können, bestehen Zweifel an der Konstruktvalidität von Polygraphen, da Stress zwar ein Indiz für eine Lüge oder eine Tatbegehung sein , aber auch durch andere Faktoren bedingt sein kann.

Die Inhaltsvalidität beschreibt, ob eine Messung alle Aspekte des zu Messenden vollständig erfasst. Dieses Kriterium trifft auf Tests mit Polygraphen zu, sind Letztgenannte doch geeignet, die messgegenständlichen physiologischen Reaktionen einer Person zuverlässig zu erheben.

Die Kriteriumsvalidität bezieht sich letztlich darauf, ob die Ergebnisse eines Polygraphentests mit anderen unabhängigen Methoden zur Erkennung von Lügen korrelieren. Die Kriteriumsvalidität von Polygraphen zu erheben, scheitert daran, dass wir bislang keine Vergleichsmethode kennen, die Lügen zuverlässig nachzuweisen oder Täter zu überführen vermag. In den in Punkt 2. genannten Untersuchungen wird daher im Feld das Geständnis des Beschuldigten als Referenzwert herangezogen, wobei gewisse Verzerrungen durch unrichtige Geständnisse nicht auszuschließen sind.

4.3 Reliabilität

Das Kriterium der Reliabilität bezieht sich auf die interne Konsistenz einer Testung und ihre Fähigkeit, ähnliche Ergebnisse bei wiederholter Anwendung zu liefern.

Die Reliabilität von Polygraphentests wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, einschließlich der Tagesverfassung der getesteten Person. Die Frage, ob eine Testung mittels Lügenerkennung unter gleichen Bedingungen zu gleichen Ergebnissen führt, kann kaum beurteilt werden, da es in der Natur des Menschen liegt, dass seine körperliche und geistige Verfassung zu mehreren Messzeitpunkten nicht völlig ident ist.

Auch nicht nur die Tagesverfassung der getesteten Person, sondern auch der testenden Person kann Einfluss auf die Testergebnisse haben. Bereits die Art und Weise, wie der Versuchsleiter den Versuch durchführt und mit dem Probanden interagiert, kann die Ergebnisse der Testung mittels Polygraphen beeinflussen ("Friendly-Polygraph-Examiner-Hypothesis").

4.4 Objektivität

Auch die Objektivität von Polygraphentests ist differenziert zu beurteilen. Zieht man Polygraphen heran, um einzig und allein bestimmte physiologische Auffälligkeiten zu detektieren, ist von einer Objektivität der Testmethode auszugehen, denn hinreichend geschulte Versuchsleiter sind in der Lage, Testergebnisse dahingehend zuverlässig auszuwerten.

Problematisch ist jedoch die Schlussfolgerung, warum ein Proband bei einer bestimmten Frage unter Stress gestanden ist. Diese Auslegung entspricht wohl nicht dem Kriterium der Objektivität.

4.5 Studienlage

Die Geschichte des Lügendetektors ist eine lange: Bereits zu Beginn des 20sten Jahrhunderts wandten sich Forscher, unter ihnen Carl Gustav Jung und Max Wertheimer, der Idee zu, anhand physiologischer Reaktionen eines Probanden Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu ziehen. Im Verhältnis zur langen Historie des Polygraphen und seiner Bedeutung in Rechtsplege und Wirtschaft - alleine in den USA erfolgen schätzungsweise eine Million Tests pro Jahr (Ekman 2018, S. 250) - finden sich nur wenige, und zwar etwa 40 Forschungsarbeiten zur Zuverlässigkeit von Lügendetektoren, die westlichen Standards der Wissenschaft entsprechen (Ekman 2018, S. 248).

Untersuchungen finden teilweise im Laborsetting statt, teilweise als Feldstudien. Beide Versuchsanordnungen bringen unüberwindbare Nachteile mit sich: Im Labor ist es kaum möglich, Probanden einer vergleichbaren Stresssituation auszusetzen, wie Menschen im "echten" Leben, wenn sie bspw zu Unrecht einer Straftat beschuldigt werden. Die mittels Polygraphen zu messenden emotionalen Reaktionen werden daher im Labor typischer Weise schwächer ausfallen als in nicht nur nachgestellten Befragungssituationen. Feldstudien bringen umgekehrt realistische Stressituationen mit sich, aber auch die Herausforderung, dass die Zuverlässigkeit von Methoden zur Lügenerkennung nur dann exakt erfasst und verglichen werden können, wenn Versuchsleiter absolut sicher sein können, ob eine Person gelogen hat oder nicht; dies lässt sich im Laborexperiment bei adäquater Versuchsanordnung gut darstellen, während im Feldexperiment nur der Proband mit Sicherheit weiß, ob er die Wahrheit gesagt hat.

Studien hatten zwei Seiten der selben Medaille zum Gegenstand: Wie zuverlässig ist die Detektion von Schuldigen und wie zuverlässig ist die Detektion von Unschuldigen. Prima facie möchte man meinen, dass Polygraphen beide Aspekte auf ähnliche Art und Weise festzustellen in der Lage sind; Studienergebnisse widerlegen diese Annahme.

Eine viel beachtete Metastudie - also gegenüberstellende Zusammenfassung - von Einzeluntersuchungen, die teilweise im Feld, teilweise im Labor durchgeführt wurden (Wehner 2006, S. 34), zeigte, dass anhand des Kontrollfragentests Schuldige mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt werden (zu 94 % im Labor, zu 93,5 % im Feld), während Unschuldige nicht zuverlässig erkannt werden (zu 80,1 % im Labor, zu 73,3 % im Feld). Umgekehrt konnten anhand des Tatwissenstests Unschuldige verhältnismäßig zuverlässig erkannt werden (zu 96,6 % im Labor, zu 97,7 % im Feld), während der Tatwissenstest hohe Fehlerquoten dahingehend aufweist, Schuldige zu erkennen, wobei im Feldexperiment die Zuverlässigkeit nicht signifikant über den bloßen Zufall hinausgeht (80 % im Labor, 51,7 % im Feld). Während der Kontrollfragentest daher eine niedrige Quote an falsch-negativen Befunden aufweist, zeigt der Tatwissenstest eine niedrige Quote an falsch-positiven Ergebnissen. Hieraus folgt, dass Strafverfolgungsbehörden wie auch Unternehmen, die Täter oder ungeeignete Mitarbeiter selektieren möchten, eher der Kontrollfragentest zu empfehlen ist, während zu Unrecht beschuldigte Personen ihren Freibeweis eher mit dem Tatwissenstest antreten sollten.

Kontrollfragentest Tatwissenstest

Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von Wehner (2006)

5. In welchen Ländern finden Polygraphen systematisch Verwendung?

5.1 Systematische Verwendung

Wer sich an einen Lügendetektor angeschlossene, vor Angstschweiß triefende Personen vorstellt, denkt wohl unweigerlich an die Vereinigte Staaten. Dies zu Recht, denn die USA verwenden Polygraphentests in einer Vielzahl von Bereichen, darunter  in der Strafverfolgung, aber auch in der Privatwirtschaft, etwa bei Sicherheitsüberprüfungen und Einstellungsverfahren. Inwieweit Polygraphen Verwendung finden und ihren Ergebnissen getraut werden darf, ist sowohl auf Bundesebene, als auch auf Ebene der Bundesstaaten uneinheitlich geregelt; in fast allen Bundesstaaten, in denen der Polygraph vor Gericht Verwendung finden kann, ist dies im Strafrechtswesen allerdings sowohl an die Zustimmung des Beschuldigten, als auch der Staatsanwaltschaft gebunden, also keine Verpflichtung des Beschuldigten gegeben, seinen Körper gegen seinen Willen als Beweismittel zur Verfügung zu stellen, um an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (siehe hierzu auch Punkt 4.2).

In Kanada werden Polygraphen ebenso in Strafverfolgung und Sicherheitsüberprüfungen eingesetzt, als Beweismittel vor Gericht aber nur eingeschränkt zugelassen. Ähnliches gilt für das Vereinigte Königreich, in dem Polygraphen zwar vor Gericht nicht als Beweismittel, mitunter aber in Ermittlungsverfahren eingesetzt werden. Auch in Israel finden Polygraphen im Bereich der Strafverfolgung und in der Privatwirtschaft eingeschränkt Verwendung.

5.2 Keine systematische Verwendung

In anderen Ländern ist die Verwendung von Polygraphen bzw der Ergebnisse einer Testung mittels Polygraphen jedenfalls durch Behörden und Gerichte nicht zulässig, wozu etwa Österreich, Deutschland und die Schweiz zählen. Ähnliches gilt - mit engen Ausnahmen - für Australien und Japan.

5.3 Österreichische und deutsche Rechtsprechung zur Verwendung von Polygraphen im Rechtswesen

5.3.1 Österreich

Hierzulande besagt die ständige Rechtsprechung auf dem Gebiet des Strafrechts, dass die Anwendung eines Lügendetektors bei der Vernehmung des Beschuldigten selbst mit dessen Einverständnis unzulässig ist (RIS-Justiz RS0074642), was sinngemäß für die Einvernahme von Zeugen gilt (12 Os 75/17x). Begründet wird dies mit dem zentralen Grundsatz des österreichischen Strafverfahrens, dass alle Methoden, die eine Ausschaltung des freien Willens des Angeklagten nach sich ziehen, keine Verwendung finden dürfen, was historisch betrachtet zuerst für Methoden wie Hypnose und die Verabreichung von bewusstseinsverändernden Medikamenten galt, später auch für die Anwendung von Lügendetektoren und die Überwachung sonstiger nicht willkürlich steuerbarer körperlicher Ausdrücke (12 Os 47/77). Die Untersuchung mittels Polygraphen verletzt sohin nach der höchstgerichtlichen, einheitlichen Judikatur die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten und ist daher im Strafverfahren vor Gericht, aber auch im Ermittlungsverfahren jedenfalls unzulässig (RIS-Justiz RS0098187).

Auf den ersten Blick verwundern mag der Umstand, dass Beschuldigte und Zeuge auch mit deren Einverständnis keiner Testung mittels Polygraphen unterzogen werden können. Warum wird dies beschränkt, wenn sich Personen freiwillig entlasten möchten? Hintergrund ist der Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare: niemand braucht an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Dieses Prinzip hat eine nicht sofort erkennbare Nebenwirkung, wonach niemand einem impliziten Druck ausgesetzt werden darf, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Und was wäre für eine unschuldige Person leichter, als einer Entlastung mittels Lügendetektortests zuzustimmen?

Obgenannte Judikatur erging jeweils zu Strafverfahren. Zum Zivilverfahren fehlt, soweit ersichtlich, in Österreich höchstgerichtliche Rechtsprechung. Nachdem in Zivilverfahren aber vergleichbare Grundsätze zur Tauglichkeit von Beweismitteln gelten, wie im Strafverfahren, wird die Verwendung von Polygraphen auch in Zivilverfahren unzulässig sein. 

5.3.2 Deutschland

Die zur Verwendung von Polygraphen auf dem Gebiet des Srafrechts ergangene Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs und des deutschen Bundesgerichtshofs ähnelt einander sowohl in den Grundaussagen, als auch in ihrer Argumentation deutlich. Der deutsche Bundesgerichtshof lehnt Polygraphentestungen als Beweismittel bereits seit der jüngeren Nachkriegszeit ab (BGH vom 16.02.1954, 1 StR 578/53). Entsprechend argumentierte auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht, als es über die Beweisergebnisse in einem Disziplinarverfahren zu entscheiden hatte  (Beschluss vom 31.7.2014, 2 B 20.14).

Der Bundesgerichtshof klärte für den deutschen Rechtsbereich zudem, dass Testungen mittels Polygraphen auch in Zivilverfahren unzulässige Beweismittel darstellen (BGH vom 24.06.2003 zu VI ZR 327/02).

Gänzlich unstrittig ist die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings auch innerhalb der deutschen Judikatur nicht: So ließ das Oberlandesgericht Dresden in einem familienrechtlichen Verfahren die Ergebnisse einer Polygraphentestung als Beweismittel zur Entlastung einer Partei zu (Beschluss vom 14.5.2013, 21 UF 787/12).

6. Wir helfen weiter

Kennen Sie das Gefühl, dass Ihnen niemand glaubt - oder Sie jemandem etwas nicht abkaufen, dem jedoch andere Glauben schenken? Sowohl in Zivilverfahren, als auch in Strafverfahren kommt der Beweiswürdigung in der Mehrzahl der Fälle entscheidende Rolle zu. Wir begleiten Antragsteller und Antragstellerinnen, Kläger und Klägerinnen, Beschuldigte und Opfer vor Gericht.

 

Literatur: Ben-Shakhar, G. & Furedy, J. J. (1990): Theories and applications in the detection of deception: A psychophysiological and international perspective. New York: Springer. DePaulo, B. M., Lindsay, J. J., Malone, B. E., Muhlenbruck, L., Charlton, K. & Cooper, H. (2003): Cues to deception. Psychological Bulletin, 129, 74–118. Wirtz, M. et al (Hrsg.) (2021): Dorsch: Lexikon für Psychologie. Bern: Hogrefe AG. Ekman, P. (2018): Ich weiß, dass du lügst. Hamburg: Rowohlt Verlag. Gamer, M. & Vossel, G. (2009): Psychophysiologische Aussagebeurteilung: Aktueller Stand und neuere Entwicklungen. Zeitschrift für Neuropsychologie, 20, 207–218. Geipel, A. (2021): Beweisführung und Lügenerkennung vor Gericht. Paderborn: Verlag Ferdinand Schönigh. Nasher, J. (2012): Durchschaut. München: Wilhelm Heyne Verlag. Steller, M.; Volbert, R. (Hrsg.) (1997): Psychologie im Strafverfahren. Bern: Huber Verlag. Volbert, R.; Steller, M. (Hrsg.) (2008): Handbuch der Rechtspsycholigie. Göttingen: Hogreve Verlag. Wagner, M. (2012): Polygraphie im Strafverfahren. Wien: Verlag Österreich. Wehner, I (2006): Erhebung und Beurteilung von Tatverdächtigenaussagen. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.

 

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