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Europawahl: Die Programme der Großparteien

1. Auf den Punkt gebracht

In Österreich findet am 9. Juni 2024 die Wahl zum europäischen Parlament statt, in anderen europäischen Staaten erstreckt sich der Zeitraum zur Stimmabgabe vom 6. bis zum 9. Juni dieses Jahres. Die Wahlprogramme der österreichischen Großparteien unterscheiden sich nicht nur in Umfang und Detailgrad, sondern zeigen auch unterschiedliche Ansätze, wie Europa in die Zukunft geführt werden soll. Wir fassen - gereiht nach den Stimmverhältnissen beim letzten Wahlgang - jene Teile der Wahlprogramme zusammen, die den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Union betreffen. Von Dorian Schmelz.

2. ÖVP: Sicherheit geht vor

2.1 Allgemeines

Auf 57 Seiten Wahlprogramm geht die Volkspartei auf verschiedene Themenkomplexe ein, die von zwei übergeordneten Zielen getragen sind: Einerseits der Optimierung von Sicherheit in einem weiten Sinn, andererseits einer wirtschaftsfreundlichen Politik.

2.2 Das Programm

Einen wesentlichen Teil des Wahlprogramms der ÖVP konzentiert sich auf die innere und äußere Sicherheit Europas.

Im Hinblick auf die militärische Verteidigung Österreichs wird die Bedeutung des raschen Ausbaus der europäischen Verteidigungskapazitäten, insbesondere durch gemeinsame Beschaffungsmaßnahmen in der Rüstungsindustrie, betont. Die Initiative „European Sky Shield“ wird als bedeutsam eingeschätzt, um Bedrohungen aus der Luft abzuwehren und gleichzeitig die nationale Entscheidungsautonomie zu wahren. Zugleich solle Österreich innerhalb des europäischen Verteidigungsbündnisses seine Neutralität aufrecht erhalten, um als Vermittler auf der internationalen Bühne zu agieren und Wien als einen wichtigen Ort des Dialogs zu etablieren bzw. stärken. Die Unterstützung der Ukraine im Konflikt mit Russland sei elementar, zugleich solle Österreich seine militärische Neutralität behalten, jedoch humanitäre Hilfe leisten.

Desinformation wird als aktuelles Problemfeld erachtet. Die Kompetenzen der EU sollen erweitert werden, um die Entwicklung von Qualitätsmedien zu fördern und ein digitales Echtheitszertifikat für Fotos und Videos einzuführen. Eine europaweite Klarnamenpflicht im Internet wird gefordert, um gegen Hasspostings vorzugehen. Cyber- und Datensicherheit sollen durch europäische Initiativen zur Bewusstseinsbildung und Förderung des internationalen Wissensaustauschs gestärkt werden. Ein europaweiter digitaler Ausweis könne eine leichte Identitätsfeststellung ermöglichen und vereinheitlichen.

Europa solle sich selbst mit Medikamenten und medizinisch notwendigen Produkten versorgen können, um von globalen Lieferketten unabhängiger zu werden. Dies beinhalte auch die Beibehaltung strenger Patentschutzregelungen zur Förderung von medizinischen Innovationen. Digitale Gesundheitslösungen sollen unter dem Stichwort der "e-health" ausgebaut werden, um die Effizienz und Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Genügend Ausbildungsplätze für angehende Mediziner seien bereitzustellen, um den Bedarf an Ärzten zu decken.

Extremismus sowohl von links- als auch rechtsradilaker Seite, aber auch durch den politischen Islam, müsse wirksam unterbunden werden, indem bspw. Fördergelder zielgerichtet verteilt werden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität solle gefördert werden, indem eine grenzüberschreitende Datenbank über Gefährder eingerichtet werde. Europol solle gestärkt, digitale Ermittlungen, die Ausbildung von Sicherheitsbeamten und die Strafrahmen für Schlepperkriminalität sollen standardisiert werden.

Jüdisches Leben in Europa sei vor Antisemitismus durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen und eine enge Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und jüdischen Einrichtungen zu schützen. Eine europaweite Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus sei erforderlich.

Eine Stärkung der demokratischen Institutionen mit dem Ziel, die Bedürfnisse und Erwartungen der Bürger stärker zu berücksichtigen, sei essenziell. Dabei möge in besonders wichtigen Politikbereichen wie Sicherheits- und Außenpolitik das Einstimmigkeitsprinzip auf EU-Ebene beibehalten werden, um die Souveränität der Mitgliedstaaten zu wahren. Klare und transparente Regeln sollen die europäischen Interessen und Bürger schützen, indem eine transparente Trennung zwischen Recht und Politik aufrecherhalten werden. Sofern Mitgliedstaaten Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzen, seien schnelle und effektive Reaktionen der Union erforderlich.

Doch nicht nur Demokratie und Rechtsstaat, auch die Familie sieht die ÖVP in gewissem Maße gefährdet. Daher solle die EU den Wert der Familie betonen und Menschen zur Gründung von Familien ermutigen, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Kinder seien heutzutage auch im digitalen Raum, bspw. gegen Cybermobbing und Grooming, adäquat zu schützen. Dabei solle die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aufrecht erhalten bleiben und die Kompetenz nicht auf Unionsebene gehoben werden.

Die ÖVP setzt sich für eine umfassende Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik ein. Als zentrale Ziele werden die verstärkte Sicherung der Außengrenzen, etwa durch Aufstockung des Budgets der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten, die Rückführung abgelehnter Asylwerber, die Stärkung der europäischen Rückübernahmeabkommen und Entwicklungszusammenarbeit und die Verhinderung von Missbrauch beim Familiennachzug genannt. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Migrationspolitik der EU zu verschärfen und gleichzeitig sicherzustellen, dass Migration kontrolliert und in Übereinstimmung mit europäischen und demokratischen Werten erfolgt.

Als weiteren bedeutsamen Themenkomplex skizzieren die Türkisen in ihrem Wahlprogramm eine Vision für ein "starkes Europa in der Welt", das sich durch Stabilität und Wirtschaftskraft auszeichne. Eine graduelle Integration der Westbalkanländer in die EU sei anzustreben. Die wirtschaftliche Kraft Europas solle gefördert werden, indem bspw. Überregulierung abgebaut, Regelungen im Binnenmarkt weiter harmonoisiert und Innovation und Forschung stärker gestützt werden. Es wird eine deutliche Erhöhung der Forschungsmittel und die Reform des Wettbewerbsrechts vorgeschlagen, um die Entwicklung europäischer Champions zu fördern, die global wettbewerbsfähig sein können. Besonderes Augenmerk werde auf Schlüsseltechnologien wie Life Sciences, Quantentechnologie und künstliche Intelligenz gelegt. Vorgeschlagen werden weiters die automatische Anerkennung von Berufsbildungsabschlüssen in ganz Europa und die Vernetzung der besten Köpfe und Einrichtungen, um Spitzenforschung zu erleichtern. Barrieren im Arbeitsmarkt sollen abgebaut werden, innovative und Wachstumsprojekte im Rahmen einer Kapitalmarktunion verstärkt gefördert werden. Europa solle sich auf das Ziel einer wirtschaftlichen Integration refokussieren und seine ökonomische Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dies könne sowohl durch eine Vereinfachung regulatorischer Vorgaben insbesondere zu Datenschutz, Green Deal, ESG und Nachhaltigkeit erfolgen, als auch durch den Aufbau von internationalen Partnerschaften und Handelsbeziehungen, einschließlich einer Reform der WTO, als auch durch die Förderung lokaler Halbleiterproduktion und eine Diversivierung der Energieversorgung. Insgesamt solle die Innovations- und Wirtschaftsfreundlichkeit Europas signifikant erhöhen.

Städtische wie auch ländliche Mobilität solle verbessert werden, unter anderem durch den Ausbau der Bahninfrastruktur und die Schaffung eines europaweiten Buchungssystems für Bahntickets. Der Autotransfer über den Brenner solle durch eine Maut weniger attraktiv gestaltet werden. Die europäische Landwirtschaft möge im internationalen Wettbewerb durch eine nachhaltige Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik gestärkt werden. Neue Möglichkeiten für die Landwirtschaft in der Produktion erneuerbarer Energie werden ebenfalls hervorgehoben. Das übergeordnete Ziel sei es, die Lebensqualität in Europa zu verbessern und die Union als starken globalen Akteur zu positionieren. Für Europa und Österreich solle eine autarke Sicherstellung mit Lebens- und Futtermitteln sichergestellt werden.

Die Volkspartei bevorzugt einen innovationsfreundlichen Klimaschutz gegenüber einem solchen, der primär auf bürokratischen Vorgaben und Verboten aufbaut. Vorzuziehen sei, dass Energie- und Technologiepartnerschaften ausgebaut, klimafreundliche Produktion, umweltfreundliche Innovationen und Zukunftstechnologien gefördert werden. Zudem sei eine weltweite Vereinheitlichung der CO2-Bepreisung erforderlich.

Das Parteiprogramm skizziert mehrere Ansätze zur Förderung von Bürgernähe, generationenübergreifender Solidarität und regionaler Stärkung innerhalb Europas, um auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der verschiedenen Mitgliedstaaten und Regionen einzugehen. Alle Bevölkerungsgruppen sollten dabei gleichermaßen begünstigt werden, insbesondere auch die junge Generation: Dafür seien Austauschprogramme, grenzübergreifende Bildungsprogramme und zukunftsfähige Gesetze hilfreich. Das Prinzip der Subsidiatität diene dazu, dass Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden. In diesem Kontext sei auch eine Stärkung ländlicher Gebiete unter Nutzung von EU-Fördermaßnahmen für Infrastrukturprojekte, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Regionen zugeschnitten sind, wesentlich.

2.3 Auf einen Blick

  • Außen- und Sicherheitspolitik
    • Betonung auf innere und äußere Sicherheit Europas, darunter militärische Verteidigung und gemeinsame Rüstungsbeschaffung
    • Erhalt der Neutralität Österreichs innerhalb des europäischen Verteidigungsbündnisses und Stärkung von Wien als internationaler Dialogort
    • "European Sky Shield" zur Abwehr von Luftbedrohungen
    • Unterstützung der Ukraine bei Wahrung der militärischen Neutralität Österreichs, daher Fokus auf humanitäre Hilfe
  • Demokratie und Rechtsstaat
    • Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips in wichtigen Politikbereichen, um Souveränität der Mitgliedstaaten zu wahren
    • Schnelle Reaktion der EU bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit
    • Stärkung der demokratischen Institutionen, um Bürgerbedürfnisse stärker zu berücksichtigen
    • Transparenz und klare Regeln sollen europäische Interessen und Bürger schützen
  •  Klimapolitik
    • Ausbau von Energie- und Technologiepartnerschaften
    • Bevorzugung von innovationsfreundlichem Klimaschutz gegenüber regulierenden Maßnahmen
    • Förderung klimafreundlicher Produktion, umweltfreundlicher Innovationen und Zukunftstechnologien
    • Weltweite Vereinheitlichung der CO2-Bepreisung
  • Migration
    • Entwicklungszusammenarbeit und Prävention von Missbrauch beim Familiennachzug
    • Rückführung abgelehnter Asylbewerber und Stärkung der europäischen Rücknahmeabkommen
    • Verstärkung der Sicherung der EU-Außengrenzen und Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten
  • Reform der EU
    • Intensivierung internationaler Handelsbeziehungen und Partnerschaften, einschließlich einer Reform der WTO
    • Vereinfachung regulatorischer Vorgaben und Förderung der Innovation durch Erhöhung der Forschungsmittel
    • Wirtschaftliche Integration und Stärkung der ökonomischen Resilienz Europas
  •  Verkehrspolitik
    •  Verbesserung städtischer und ländlicher Mobilität durch Ausbau der Bahninfrastruktur und Schaffung eines europaweiten Buchungssystems für Bahntickets
    • Maut am Brenner zur Reduzierung des dortigen Autotransfers
  • Wirtschaft und Steuern
    • Automatischen Anerkennung von Berufsbildungsabschlüssen in Europa 
    • Förderung der wirtschaftlichen Kraft Europas durch Abbau von Überregulierung und durch stärkere Harmonisierung im Binnenmarkt
    • Unterstützung von Forschung und Innovation unter Fokus auf Schlüsseltechnologien wie Life Sciences, Quantentechnologie und künstliche Intelligenz

3. SPÖ: Ein Hauch von Planwirtschaft

3.1 Allgemeines

Die SPÖ publizierte kein eigenes Wahlprogramm, das auf die anstehenden EU-Wahlen ausgerichtet ist, jedoch "24 Ideen", die als Grundsatzprogramm sowohl für die EU-, als auch die anstehenden Nationalratswahlen verstanden wird.

3.2 Das Programm

Während die Regierung die Interessen von Immobilieninvestoren priorisiere, möchte die SPÖ im Wohnmarkt regulatorisch mieterfreundlich intervenieren: Zu den geplanten Sofortmaßnahmen gehörten eine Mietpreisbremse, die bis Ende 2026 alle Mietsteigerungen stoppen und außerdem rückwirkend die Mietpreiserhöhung seit Anfang 2023 rückgängig machen solle, sowie eine Zinsbremse für Wohnbaukredite, die die Zinsen auf maximal drei Prozent begrenze, finanziert durch Bankübergewinne. Weiters solle mindestens die Hälfte des neuen Baulands in städtischen Gebieten für gemeinnützigen und ökologischen Wohnbau reserviert werden.

Die Wirtschaft solle durch einen starken Staat bestimmt werden: Sei es eine Arbeitsplatzgarantie für alle Langzeitarbeitslosen nach dem Modellprojekt Marienthal (dort wurde ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt etabliert, das aus einem Mix aus Schulungskursen, der teilweisen oder gänzlichen Übernahme der Lohnkosten bei einer Anstellung Langzeitarbeitsloser in privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Schaffung und Finanzierung zusätzlicher Posten im gemeinnützigen Bereich für nicht vermittelbare Langzeitarbeitslose besteht, wobei das Projekt zwischenzeitlich beendet wurde; Anm), das gesetzlich verpflichtende Aufstellen mindestens eines Bankomaten pro Gemeinde oder die Einführung eines „Österreich-Sparbuchs“, das jedem Inhaber eines Giro- oder Basiskontos eine Mindestverzinsung von aktuell rund 3 % für die ersten 20.000 Euro garantieren solle.

Für Einzel- und Kleinunternehmern werden umfassende soziale Absicherung gefordert, unter anderem Krankengeld ab dem vierten Krankheitstag. Zudem sollen Gemeinden leerstehende Geschäftslokale und Büroräumlichkeiten anmieten und an EPUs oder kleine handwerkliche Betriebe günstig weitervermieten. Dieser Ansatz könne die lokalen Wirtschaften beleben und den Unternehmen helfen, durch die Nutzung gemeinschaftlicher „Shared Services“ ihre Overheadkosten zu senken.

Die zeitlich über mehrere Jahre gestreckte, ansonsten aber breite Einführung einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich könne nach Ansicht der Sozialdemokraten helfen, Mangelberufe attraktiver zu machen und den Fachkräftemangel zu mildern. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit könnten nämlich Menschen in Teilzeit motiviert werden, in Vollzeit zu arbeiten, oder jene zurückgewonnen werden, die aufgrund von Erschöpfung ihren Beruf aufgegeben haben. Die SPÖ möchte mit diesem Vorstoß nicht nur an die erfolgreichen Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit anknüpfen, sondern auch moderne Arbeitszeitmodelle schaffen, die den Anforderungen und dem Tempo der heutigen Arbeitswelt gerecht werden. Weitere Vorteile der 4-Tage-Woche werden in den "24 Ideen" präzise auf den Punkt gebracht: "Die Arbeitnehmer*innen haben mehr Zeit für ihre Familie, für Engagement in Sport- und Musikvereinen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Denn es braucht Zeit zum Leben, um auch mit voller Kraft und Leidenschaft den Beruf ausüben zu können."

Das "Meine-Zeitung-Abo" solle Personen zwischen 16 und 30 Jahren ermöglichen, jährlich ein journalistisches Medium ihrer Wahl zu abonnieren. Die Kosten hierfür sollen bis zu 150 Euro betragen und vom Staat übernommen werden. Dies könne den Medienstandort stärken und den Zugang zu qualitätsvollem und kritischem Journalismus erleichtern, um der Verbreitung von Fake News entgegenzuwirken und die Medienvielfalt zu fördern. Die Finanzierung dieses Programms solle durch eine zweckgebundene Digitalsteuer erfolgen, und die geförderten Medien müssten bestimmte Kriterien erfüllen, wie die Mitgliedschaft im Presserat (diesem gehören so gut wie alle relevanten Zeitungen Österreichs, ausgenommen die Kronen Zeitung, an; Anm).

Der in Österreich festgestellten Zweiklassenmedizin solle entgegengewirkt werden. Alle Bürger sollen innerhalb von 14 Tagen einen Arzttermin erhalten können, was durch eine gesetzlich garantierte Termingarantie erreicht werden soll, die von einer staatlichen Terminservicestelle unterstützt wird, falls der reguläre medizinische Dienst überlastet sei. Die Medizinstudienplätze sollen verdoppelt werden, wobei Studierende, die sich für den Dienst im öffentlichen Gesundheitssystem verpflichten, bevorzugt werden mögen. Wahlärzte sollen motiviert werden, bis zu 10 % ihrer Kapazitäten für Kassenpatienten bereitzustellen, wenn dies nicht wirke, solle eine entsprechende gesetzlichen Verpflichtung eingeführt werden. Ein besonderes Anliegen ist der SPÖ Frauengesundheit: Dazu solle Gendermedizin verpflichtend im Medizinstudium absolviert werden, gynäkologische Vorsorge solle gratis, Verhütungs- und Periodenprodukte mögen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Nicht nur die Gesundheit, auch andere Aspekte des weiblichen Alltags rücken in den Fokus der SPÖ. Um Lohngleichheit herzustellen, solle in Betrieben völlige Lohntransparenz herrschen. Bildungsinitiativen mögen veraltete Rollenbilder aufbrechen und ein modernes Frauenbild etablieren. Die Sicherheit gefährdeter Frauen solle durch eine elektronische Überwachung von Gefährdern, aber auch durch die Wiedereinführung der unter Innenminister Kickl abgeschafften Hochrisikofallkonferenzen gefördert werden (hierbei wird übersehen, dass derartige Fallkonferenzen nach Schwarz-Blau wieder eingeführt wurden; Anm). Die Polizei könne personell aufgerüstet werden, indem Gehälter angehoben und Aufnahmekriterien gesenkt werden.

Die auf wirtschaftsliberaler Seite verortete Verunsicherung der Bevölkerung im Hinblick auf die Zukunft unserer Pensionen sei nicht faktenbasiert, sondern würden nur Unsicherheit und Angst schüren. Tatsächlich seien die Pensionsausgaben in Österreich im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt stabil. Dies bestätige die Nachhaltigkeit des bestehenden Pensionssystems und unterstreiche die Unbegründetheit der kritischen Stimmen. Kurzum: Finetuning ja, aber keine Anhebung des Pensionsantrittsalters und keine Kürzung der Pensionshöhe.

Darüber hinaus adressiert die SPÖ das Problem der Kinderarmut mit einem Vorschlag zur Einführung einer Kindergrundsicherung. Der vorgeschlagene Universalbetrag würde mindestens 367 Euro pro Monat für jedes Kind betragen, mit zusätzlichen einkommensabhängigen Zahlungen, um die Teilhabe in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Sport und Kultur zu sichern.  Eine Bildungsreform solle sicherstellen, dass alle Kinder die gleiche Chancen erhalten; Kernstücke dieser Initiative sind die Bereitstellung kostenloser Kindergartenplätze ab dem ersten Lebensjahr und gratis Mittagessen für alle Kindergartenkinder und Schüler im Pflichtschulalter, was auch der "Ernährungsbildung" Heranwachsender dienen solle.

Migrationspolitik möchte die SPÖ pragmatisch und wirtschaftsfreundlich gestalten. So solle die Abschiebung gut integrierter Personen in Mängelberufen vermieden werden. Neu-Ankömmlinge in Österreich sollen durch ein Integrationsjahr an die Österreichische Societas herangeführt werden: Etwas, was bereits unter der Regierung Kern eingeführt, unter Schwarz-Blau aber wieder abgeschafft worden sei. Das Integrationsjahr verfolge das Ziel, arbeitsfähigen Asylberechtigten und Asylwerbern mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit berufliche Orientierung, Spracherwerb und Qualifizierung zu bieten.

Verkehrspolitisch werde angestrebt, den Trend der Schienennetzreduktion der letzten 50 Jahre umzukehren und die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs stärken. Hierbei werde ein besonderes Augenmerk auf die Förderung junger Menschen gelegt, indem kostenlose Öffi-Tickets für diese Altersgruppe angeboten werden. Ein von der ÖBAG zu verwaltender Transformationsfonds mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro solle eingerichtet werden, um Klima- und Transformationsprojekte zu fördern; die Einnahmen und Erträge aus diesen Investitionen sollen reinvestiert werden, um die Nachhaltigkeit und den Erfolg dieser Maßnahmen zu gewährleisten. Startup-Förderungen sollen mit klimapolitischen Zielen junktimiert werden, wobei sich der Staat zu fremdüblichen Konditionen als Minderheitsgesellschafter an Start-Ups beteiligen möge.

Eine Entlastung von Arbeitseinkommen bei gleichzeitiger Belastung des Vermögensstamms wünscht die SPÖ. Während die Abgaben auf Arbeitseinkommen gesenkt werden sollen, werde die Einführung einer Erbschaft- und Schenkungsteuer gefordert, wobei die Übergabe von Immobilien unter nahen Angehörigen ausgenommen sein solle. Außerdem werde vorgeschlagen, eine Steuer für Nettovermögen über 1 Million Euro einzuführen, wobei das selbst bewohnte Eigenheim bis zu einem Wert von 1,5 Millionen Euro ausgenommen werden soll.

3.3 Auf einen Blick

  • Demokratie und Rechtsstaat
    • "Meine-Zeitung-Abo" für junge Menschen zur Förderung von qualitätsvollem und kritischem Journalismus
  •  Klimapolitik
    • Etablierung eines 20 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds zur Förderung von Klima- und Transformationsprojekten, verwaltet von der ÖBAG
    • Förderung von Start-Ups unter klimapolitischen und Nachhaltigkeits-Aspekten
  • Migration
    • Einführung eines Integrationsjahres für Asylberechtigte und Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit
    • Vermeidung der Abschiebung gut integrierter Menschen in Mangelberufen
  •  Verkehrspolitik
    • Gratis Öffi-Tickets für junge Menschen
    • Umkehr der Schienennetzreduktion seit 1970 und Stärkung des öffentlichen Verkehrs
  • Wirtschaft und Steuern
    • Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose
    • Einführung einer Erbschaftsteuer, Schenkungsteuer und Vermögensteuer bei gleichzeitiger Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen
    • Österreich-Sparbuch für jeden mit aktuell mindestens 3 % Verzinsung
    • Pensionen sind sicher, Kinder nicht: Darum Einführung einer Kindergrundsicherung von mindestens 367 Euro pro Monat und Kopf
    • Schrittweise Einführung der 4-Tages-Woche bei vollem Lohnausgleich
    • Soziale Absicherung für Einzel- und Kleinunternehmer
    • Stärkerer staatlicher Einfluss auf KMU, etwa durch die An- und Vermietung von Büroräumlichkeiten und die Beteiligung an Start-Ups
    • Verbot der Mietzinsanhebung (rückwirkend) zwischen 2023 und 2026 und Deckelung der Zinsen auf Wohnkredite
    • Auffallend ist eine Begeisterung der SPÖ für staatliche Zuwedungen: Begriffe wie "Förderung" und "fördern" werden im Wahlprogramm gleich 29 Mal verwendet.

4. FPÖ: Inhalt wird überbewertet

4.1 Allgemeines

Die Freiheitlichen richten sich offenkundig vorrangig an Personen mit limitierten zeitlichen Ressourcen: denn ausführliches Wahlprogramm für die Europawahl 2024 findet sich (Stand 28.4.2024) nicht auf der Parteiwebsite. Im Gegenzug werden klare Zielsetzungen und Wünsche komprimiert dargestellt, mehr oder weniger aktuelle Einzelartikel zu konkreten Anlässen verlinked und wird dabei mit polarisierenden Begriffen ("EU-Wahnsinn") nicht gespart.

4.2 Das Programm

Ein grundlegender Wandel in der EU-Politik sei erforderlich. Die FPÖ repräsentiere die Stimme für einen radikalen Richtungswechsel in der Europäischen Union, der darauf abziele, Einflussrechte und Entscheidungen weg von europäischen Instanzen und hin in die Hände der Mitgliedsstaaten zu transferieren. Die aktuelle EU-Politik sei bürokratisch und ineffizient, weshalb die europäischen Organstrukturen ("EU-Speck") reformiert werden sollten, etwa durch Halbierung des EU-Parlaments, der Kommission und des Budgets der EU.

Die Energiepolitik betreffend sei es erforderlich, Europa von der Abhängigkeit teurer Energieimporte zu befreien. Der Green Deal ("Klimaterror") werde abgelehnt, denn er sei schädlich für die europäische Industrie und kostentreibend für die Bürger. Stattdessen sollen nationale Betriebe gefördert werden, etwa durch Zahlungen an österreichische Bauern und  Schutz der heimischen Landwirtschaft.

Migration wolle man durch effektive Grenzsicherungen ("Festung Europa") und die Errichtung von Betreuungszentren außerhalb Europas sowie die konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber begegnen, wobei das australische Modell als Anregung und Vorbild diene. Die Neutralität Österreichs sei nicht nur militärisch, sondern auch politisch zu wahren. Demgemäß solle sich Österreich zum einen nicht in internationale militärische Allianzen, zum anderen nicht in politische Konflikte einseitig einbringen; im Gegenteil dazu solle Österreich wieder zum Zentrum internationaler Diplomatie werden und als solches eine aktive Neutralitätspolitik ausüben.

In Bezug auf das Management der Corona-Krise sei eine umfassende Aufarbeitung der EU-Maßnahmen und die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für durch die Pandemie Geschädigten voranzubringen.

4.3 Auf einen Blick

  • Aufbau einer "Festung Europa" zur Abwehr von Migration
  • Aufrechterhaltung der Neutralität
  • Entschädigung für Geschädigte der Corona-Pandemie
  • Gegen Bürokratie auf EU-Ebene, etwa durch Verschlankung der europäischen Organe
  • Gegen den Green Deal

5. Grüne: Klimaschutz mit Herz

5.1 Allgemeines

Das gut 100 Seiten starke Wahlprogramm der Grünen wird terminologisch vom Begriff des "Herzens" geprägt. Jenen vorangestellt, werden vor allem die Themen des Klimaschutzes, der Menschenrechte in einer liberalen Demokratie und des sozialen Zusammenhalts angesprochen.

5.2 Das Programm

Eine Klimapolitik "mit Herz und Hirn" im Sinn eines Green Deal erfordert nach Auffassung der Grünen wirtschaftliche Reformen, die darauf zielen, die EU wettbewerbsfähiger zu machen, während sie gleichzeitig ihre natürlichen Ressourcen schützen. Zentral sei eine Abkehr von fossilen Energiequellen, was nicht nur eine Reaktion auf die Klimakrise, sondern - Stichwort Ukrainekrieg - eine strategische Notwendigkeit sei, um wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten und die rechtliche Souveränität der EU zu stärken. Dem diene eine Förderung nachhaltiger Energiegewinnung. Durch die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft sollen Produkte nicht nur umweltschonend geschaffen, sondern auch möglichst lange verwendbar gehalten werden. Produktionsbedingungen müssen nicht nur hierzulande, sondern weltweit klima- und menschenrechtskonform ausgestaltet sein, was durch ein strenges Lieferkettengesetz sicherzustellen sei. Flächenversiegelung solle bekämpft, Aufforstung vorangetrieben werden, etwa durch die staatliche Förderung der Errichtung kleiner Waldgebiete im städtischen Bereich, bspw. auf bisherigen Parkplätzen. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sollen soziale und ökologische Erwägungsgründe Preisaspekten vorgehen.

Eine grüne Energiewende, die durch die Öl- und Gaslobby blockiert werde, solle durch einen europaweit einheitlichen "Beihilferahmen", aber auch durch günstige Bahntickets gestützt werden: Zugtickets für Reisen zwischen europäischen Städten sollen Kunden nur 10 Cent pro Kilometer kosten, die Differenz zu den tatsächlichen Kosten solle der Staat tragen. Zudem sollen Reisen mit Privatjets innerhalb der EU verboten werden, die Lieferkette solle zwingend von LKWs auf Züge verlagert werden. Konzerne, deren Manager für Treffen durch Europa fliegen, sollen durch Vielfliegerabgaben belastet werden. Die grüne Transformation solle durch einen Souveränitätsfonds mitfinanziert, aber auch durch eine Ausweitung des CO-Emissionszertifikate-Handel, eine Plastikabgabe und weitere fiskalische und regulatorische Eingriffe gefördert werden.

Auch was Lebensmittel und Nahrung anbelangt, steht für die Grünen der Kampf gegen Großkonzerne und Deregulierung im Vordergrund. Der Einsatz von Pestiziden solle ebenso abgestellt werden wie Gentechnik und die Patentierung von Erfindungen auf dem Gebiet der Nahrungsmittelerzeugung. Bioqualität, faire Arbeitsbedingungen und Tierwohl sollen gefördert werden, hier vorzugsweise kleine bäuerliche Betriebe und nicht großindustriellen Einrichtungen. Tierwohl solle durch einheitliche europäische Standards, die auf das hohe österreichische Niveau anzuheben seien, gefördert werden, wobei Konsumenten durch eine Kennzeichnungspflicht von tierischen Produkten das Haltungsniveau nachvollziehen können sollen. Letztlich solle auf völkerrechtlicher Ebene sichergestellt werden, dass bei Importen aus Drittstaaten sinngemäße Vorgaben eingehalten werden.

Vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine solle die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik auf Basis qualifizierter Mehrheitsentscheidungen gestärkt, eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik etabliert, die Neutralität zugleich beibehalten werden. Sowohl die Staaten des Westbalkans, als auch Länder wie die Republik Moldau, die Ukraine und Georgien sollen mittelfristig und nach Erreichen bestimmter Zielvorgaben der EU beitreten. Die Asyl- und Migrationspolitik solle europaweit vereinheitlicht werden; Ziel sei einerseits ein geordneter Zuzug von Arbeitskräften, um das Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt zu kompensieren, andererseits das Ermöglichen legaler Fluchtrouten nach Europa, etwa durch Stärkung der Seenotrettung. Ein weiterer Ausfluss globaler Konflikte sei, dass zentrale Wertschöpfungsketten nach Europa verlagert werden sollten, worin eine intentionale Deglobalisierung gelegen ist.

Damit die EU für eine Vielzahl an Mitgliedstaaten geeignet und zugleich volldemokratisch ausgestaltet ist, sollen deren Einrichtungen modifiziert werden. Ein Europäisches Parlament als Gesetzgebungsorgan, eine zweite Kammer, in der die nationalen Regierungen vertreten sind, und eine demokratisch legitimierte Exekutive seien die drei Säulen eines künftigen Europas. Die Kommission solle direktdemokratisch gewählt, europaweite Volksbegehren und Bürgerinitiativen eingeführt werden.

Die Grünen treten für eine Verteidigung der liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie ein, die sowohl durch rechte Parteien, als auch durch totalitäre Ansätze etwa in Ungarn oder der Slowakei in Gefahr sei. Frauen, Angehörige der LGBTIQ+-Community und von sprachlichen, ethnischen und religiösen Minderheiten müssten genauso geschützt werden wie die politische Opposition in autoritären Regimen. Korruption könne durch Einsetzung einer Ethikkommission für alle EU-Institutionen und einen Schutz von Hinweisgebern, illiberale Tendenzen in einzelnen Mitgliedstaaten könnten durch durch Streichen von EU-Förderungen bekämpft werden. Im Besonderen sei eine feministische Politik geboten, denn konservative oder rechte Tendenzen führten zu einer Verschlechterung der Stellung der Frau; feministischen Zielen dienten gratis Verhütungsmittel für alle und gratis Abtreibungen in allen öffentlichen Krankenanstalten. Neben Frauen sollten vor allem Kinder und Jugendliche besondere Aufmerksamkeit erhalten, etwa durch ein europaweit einheitliches Wahlrecht ab 16 Jahren oder eine Evaluierung gesetzgeberischer Maßnahmen im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die nachkommende Generation.

Ein besonderes Ziel der Grünen ist eine Absicherung der Steuereinnahmen und deren Verwendung in Form von Markteingriffen zu Lenkungszwecken. Zu diesem Zweck sollen europaweite Mindeststeuern für Unternehmen streng exekutiert, Geschäfte mit Unternehmen in Steueroasen für alle beteiligten Personen sanktioniert und Gewinne dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden (und nicht dort, wo ein Unternehmen seinen Sitz hat, was aktell der Regelfall ist; Anm). Eine Finanztransaktionssteuer solle eingeführt, Zufallsgewinne von Unternehmen sollten wegbesteuert werden.

5.3 Auf einen Blick

  • Außen- und Sicherheitspolitik
    • Etablierung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik unter Beibehaltung der Neutralität
    • Mittelfristige Beitrittsperspektive für die Staaten des Westbalkans sowie die Republik Moldau, die Ukraine und Georgien
    • Stärkung der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik auf Basis qualifizierter Mehrheitsentscheidungen
  • Demokratie und Rechtsstaat
    • Bekämpfung von Korruption durch eine Ethikkommission und Schutz von Hinweisgebern
    • Feministische Politik mit Gratis-Verhütungsmitteln und Abtreibungen
    • Sanktionierung illiberaler Tendenzen in einzelnen Mitgliedstaaten durch Streichung von EU-Förderungen
    • Schutz von Frauen, LGBTIQ+, Minderheiten und der politischen Opposition
    • Wahlrecht ab 16 Jahren und Evaluierung von Gesetzen auf ihre Auswirkungen auf die nachkommende Generation
  •  Klimapolitik
    • Abkehr von fossilen Brennstoffen und Förderung nachhaltiger Energiequellen
    • Bekämpfung der Flächenversiegelung und Förderung der Aufforstung im städtischen Gebiet
    • Etablierung einer Kreislaufwirtschaft von Produkten
    • Vergabe öffentlicher Aufträge prioritär unter sozialen und ökologischen Aspekten.
  • Migration
    • Ermöglichung eines geordneten Zuzugs von Arbeitskräften
    • Europaweite Vereinheitlichung der Asyl- und Migrationspolitik
    • Schaffung legaler Fluchtrouten nach Europa durch Stärkung der Seenotrettung
    • Verlagerung zentraler Wertschöpfungsketten nach Europa
  • Reform der EU
    • Demokratisch legitimierte Exekutive
    • Direktwahl der Kommission
    • Einführung europaweiter Volksbegehren und Bürgerinitiativen
    • Europäisches Parlament als Gesetzgebungsorgan
    • Zweite Kammer mit Vertretung der nationalen Regierungen
  •  Verkehrspolitik
    • Förderung der grünen Energiewende durch einen europaweiten Beihilferahmen und staatlich gestützte, günstige Bahntickets
    • Verbot von Inlandsflügen mit Privatjets
    • Vielfliegerabgaben für Konzerne
  • Wirtschaft und Steuern
    • Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Unternehmen
    • Besteuerung von Gewinnen dort, wo sie erwirtschaftet werden
    • Einführung einer Finanztransaktionssteuer
    • Einführung europaweiter Mindeststeuern für Unternehmen
    • Sanktionierung von Geschäften mit Unternehmen in Steueroasen

6. NEOS: Vom Staatenbund zum Bundesstaat

6.1 Allgemeines

Die Liberalen stellen in ihrem 42-seitigen Wahlprogramm auf eine starke Europäische Union ab und geben sich betont proeuropäisch, auch wenn zugleich punktuelle Kritik an der EU geübt und Verbesserungsvorschläge erstattet werden. Die Vision der NEOS zielt darauf ab, ein Europa zu schaffen, das seine wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen effektiver nutze und nicht in nationalstaatlichen Interessenkonflikten stecken bleibe, ein Europa, das seine Bürger in den Mittelpunkt stelle und nicht nur auf Partikularinteressen einzelner Mitgliedsstaaten ausgerichtet sei. Ziel sei die Schaffung Vereinigter Staaten von Europa.

6.2 Das Programm

Europa stehe vor großen Herausforderungen, die eine starke und handlungsfähige Europäische Union erforderten. Eine tiefgreifende Reform der EU-Institutionen und der europäischen Verfahren sei nötig, um die Entscheidungsfähigkeit zu erhalten, Bürgerrechte zu fördern und Transparenz sicherzustellen. Vorgeschlagen wird, die Größe der Kommission zu reduzieren und ein Rotationsverfahren für die Nominierung der Kommissäre einzuführen, um eine schlankere und effektivere Exekutive zu schaffen. Langfristig solle die Kommission zu einer von den Bürgern direkt gewählten Regierung umgewandelt werden. Das Europäische Parlament solle erweiterte Befugnisse erhalten und zu einem echten Arbeitsparlament mit Initiativrecht ausgebaut werden, das der hauptsächliche Entscheidungsträger innerhalb der EU-Organe sei. Die Einführung einer zweiten Kammer, die die nationalen Parlamente repräsentiert, sei ein weiterer Schritt zur Vertiefung der demokratischen Struktur der EU. Direkte Demokratie solle durch Einführung europaweiter Volksabstimmungen gefördert werden.

Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sei durch einen neu eingeführten Mechanismus, der es ermögliche, Zahlungen an Mitgliedstaaten einzustellen, die gegen EU-Werte verstoßen, sicherzustellen, die Bekämpfung von Korruption durch die Stärkung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung und die Einführung strengerer Sanktionen gegen Länder, die nicht aktiv gegen Korruption vorgehen.

Eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ("GASP") sei die adäquate Reaktion auf internationale Konflikte wie den Ukraine-Krieg. Sie impliziere die Schaffung des Postens eines EU-Außenministers mit umfassenden Befugnissen und die Etablierung einer gemeinsamen europäischen Freiwilligenarmee. Eine solche Neustrukturierung ziele darauf ab, die EU von der Notwendigkeit einer Sicherheitsgarantie durch die USA zu entkoppeln und ihre Reaktionsfähigkeit auf internationale Konflikte und Krisen zu stärken. In der GASP und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) solle das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft und durch das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit ersetzt werden, um Entscheidungen effizient freffen zu können. Sicherheit könne aber nicht nur durch ein gemeinsames Auftreten und eine ebensolche Armee wahrscheinlich gemacht werden, sondern auch durch die Stärkung der europäischen Handelsbeziehungen ein, insbesondere durch den Abschluss von Freihandelsabkommen mit strategischen Partnern wie den USA und den Mercosur-Ländern. Diese Maßnahmen seien nicht nur wirtschaftlich vorteilhaft, sondern stärken auch politische Allianzen und die globale Position Europas.

Wirtschaftspolitisch bedürfe es mehrerer Impulse: Ein erster entscheidender Aspekt sei die Schaffung eines zukunftsorientierten EU-Budgets. Die EU solle von einer Subventions- zu einer Investitionsunion entwickelt werden; das bedeute eine strategische Neuausrichtung der EU-Ausgaben, bei der alle Mittel in zukunftsträchtige Projekte fließen sollen. Diese Initiative ziele darauf ab, langfristige Investitionen zu fördern und dadurch das wirtschaftliche Potenzial des Kontinents zu stärken. Zweitens sei eine Deregulierung des Binnenmarkts erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erhöhen. Das "One Market, One Rule"-Prinzip solle es Unternehmen erleichtern, ihre Produkte und Dienstleistungen in der gesamten EU anzubieten. Drittens bestehe die Notwendigkeit, den europäischen Industriestandort zu stärken, um gegenüber globalen Wettbewerbern, insbesondere aus Asien und den USA, konkurrenzfähig zu bleiben. Hierzu zähle auch die Schaffung eines attraktiven Investitionsklimas für Unternehmen, etwa durch Benchmarking der Standort- und Wirtschaftspolitik sowie die Förderung von Innovationen und Technologien. Auch verstärkte Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Gewährung einer Anschubfinanzierung für Startups und technologische Entwicklung seien erstrebenswert. Die verhältnismäßig hohe Inflation solle auch durch die Liberalisierung des Energiemarktes und die Förderung des Wettbewerbs bekämpft werden.

Die Fiskalpolitik der EU wolle man verbindlicher, einfacher und nachhaltiger gestalten, so die NEOS. Die aktuell zu beachtende Neuverschuldung von maximal 3 % des BIP und der einzuhaltende Schuldenstand von höchstens 60 % des BIP würden oft nicht konsequent eingehalten und wären komplex. Eine Überarbeitung dieser Regeln solle sicherstellen, dass die EU-Länder ihre Staatsverschuldung wirksam reduzieren und dadurch eine erneute Schuldenkrise vermeiden. Die Einführung eines Europäischen Währungsfonds könne eine wichtige Rolle spielen, um die Handlungsfähigkeit und Stabilität der Eurozone in Krisenzeiten zu sichern. Dieser Fonds sei in der Lage, den Europäischen Stabilitätsmechanismus abzulösen und könne helfen, die finanzielle Stabilität der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ohne die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank  bei der Inflationsbekämpfung zu beeinträchtigen.Einnahmen aus dem Emissionshandel und dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus sollen gezielt für Zukunftsinvestitionen verwendet und gleichzeitig durch Steuersenkungen in den Mitgliedstaaten kompensiert werden, um die Belastung für Bürger gesamthaft nicht zu erhöhen.

Ein zentrales Element der europäischen Klimastrategie sei die Einführung einer einheitlichen CO2-Bepreisung. Diese Maßnahme ziele darauf ab, Emissionen dort zu reduzieren, wo es am kosteneffektivsten sei, und setze finanzielle Anreize für Unternehmen, in saubere Technologien zu investieren. Ein weiterer Schwerpunkt liege in der Förderung der Kreislaufwirtschaft, die durch nachhaltiges Produktdesign und innovative Produktentwicklung unterstützt werde. Ziel sei es, den Rohstoffverbrauch zu verringern und die Importabhängigkeit zu senken. Europa könne allerdings nicht alleine die Welt retten: Deshalb sei sicherzustellen, dass es auf internationaler Ebene genügend Partner gäbe. Dies erfordere verstärkte Überzeugungsarbeit und, wenn nötig, die Einführung von Klimazöllen.

Die EU stehe vor der Herausforderung, ihre Außengrenzen zu sichern und gleichzeitig die Menschenrechte zu wahren. Mit einer geplanten Reform des Asyl- und Migrationssystems soll eine Balance zwischen effizientem Grenzschutz und einer fairen, humanitären Asylpolitik gefunden werden. Dies beinhalte eine gemeinsame europäische Asylbehörde, die Asylverfahren an den Außengrenzen der EU abwickelt; werde Asyl gewährt, sollen Schutzsuchende auf alle Mitgliedstaaten aufgeteilt werden.  Ein negativer Asylbescheid hingegen solle zu einer entschlossenen Rückführung in die Herkunftsländer führen, sofern keine humanitären Gründe dagegensprechen. Anders als das Asylrecht solle gezielte Migration dazu genutzt werden, Fachkräfte nach Europa zu lotsen. Die Europäische Blaue Karte solle reformiert und um weitere Branchen erweitert werden, um ein effizientes System für die Arbeitsmigration zu schaffen. Lücken am Arbeitsmarkt sollen zudem durch Bildungsmaßnahmen, berufliche Mobilität - die etwa durch bilinguale Erziehung von Kindern und Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer erleichtert werden soll - und Digitalisierung vermieden oder geschlossen werden.

6.3 Auf einen Blick

  • Außen- und Sicherheitspolitik
    • Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der GASP und Ersetzung durch qualifizierte Mehrheit
    • Abschluss von Freihandelsabkommen mit strategischen Partnern
    • Etablierung einer gemeinsamen europäischen Freiwilligenarmee
    • Schaffung eines EU-Außenministers mit umfassenden Befugnissen
  • Demokratie und Rechtsstaat
    • Bekämpfung von Korruption durch Stärkung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung und Einführung strengerer Sanktionen gegen korrupte Länder
    • Etablierung eines Mechanismus zur Einstellung von Zahlungen an Mitgliedstaaten, die gegen EU-Werte verstoßen
  •  Klimapolitik
    • Einführung einer einheitlichen CO2-Bepreisung und Förderung der Kreislaufwirtschaft
    • Internationale Zusammenarbeit für Klimaschutz und Einführung von Klimazöllen, falls notwendig
    • Verwendung von Einnahmen aus dem Emissionshandel und CO2-Grenzausgleichsmechanismus für Zukunftsinvestitionen und gleichzeitige Steuersenkungen in den Mitgliedstaaten
  • Migration
    • Entschlossene Rückführung von Asylbewerbern bei Ablehnung
    • Gemeinsame europäische Asylbehörde für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen
    • Reform der Europäischen Blauen Karte für gezielte Fachkräftemigration
    • Verteilung von Schutzsuchenden auf alle Mitgliedstaaten
  • Reform der EU
    • Einführung einer zweiten Kammer für die Vertretung der nationalen Parlamente
    • Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments zu einem echten Arbeitsparlament mit Initiativrecht
    • Förderung direkter Demokratie durch europaweite Volksabstimmungen
    • Verschlankung der Kommission und Einführung eines Rotationsverfahrens für die Nominierung der Kommissäre, langfristig Umwandlung der Kommission in eine direkt von den Bürgern gewählte Regierung
  • Wirtschaft und Steuern
    • Bekämpfung der Inflation durch Liberalisierung des Energiemarktes und Förderung des Wettbewerbs
    • Deregulierung des Binnenmarktes ("One Market, One Rule")
    • Einführung eines Europäischen Währungsfonds zur Stärkung der Eurozone
    • Nachhaltige und einfachere Fiskalpolitik mit verbindlichen Regeln zur Reduzierung der Staatsverschuldung
    • Stärkung des europäischen Industriestandorts durch attraktives Investitionsklima, Innovationsförderung und Investitionen in Forschung und Entwicklung
    • Zukunftsorientiertes EU-Budget mit Fokus auf Investitionen statt Subventionen

7. Fair und gerecht

Kaum einem interessierten Beobachter des politischen Geschehens dürfte es entgangen sein, dass wahlwerbende Personen gerne Themen der "Fairness" und "Gerechtigkeit" adressieren. Warum ist das so? Begriffe wie "Fairness" und "Gerechtigkeit" haben starke positive Konnotationen. Sie wecken bei den meisten Menschen ein Gefühl von moralischer Integrität und ethischem Verhalten. Zugleich finden sich für diese Begriffe keine objektive und statische Definition: Was als "fair" und "gerecht" verstanden wird, bestimmt jeder von uns auf seine eigene Art und Weise. Kaum jemand wird eine unfaire oder ungerechte Lösung anstreben (jedenfalls nicht, wenn sie auch ihn selbst betreffen könnte), vielmehr strebt jeder von uns nach Fairness und Gerechtigkeit - und doch nicht nach dem selben.

Wir haben uns angesehen, wie oft Parteien in ihren Wahlprogrammen Totschlagargumente der "Fairness" und "Gerechtigkeit" ins Spiel bringen. Die Anzahl der verwendeten Begriffe haben wir in ein Verhältnis zu den Seiten des jeweiligen Wahlprogramms gesetzt, um abzuleiten, alle wie viele Seiten der Programme Begriffe aus der Wortgruppe der "Fairness" oder "Gerechtigkeit" verwendet werden. Hieraus ergibt sich unser Fairness-Faktor. Nachdem die FPÖ kein abgrenzbares Wahlprogramm hat, kann diese am Wettbewerb bedauerlicher Weise nicht teilnehmen. Wenig überraschend ist jene Partei, die in ihren Augen faire Ziele progapagiert, die Grünen - immerhin jene Partei, die im Nationalratswahlkampf 2019 für sich in Anspruch nahm, vom Anstand gewählt zu werden.

     Partei       "Fair/ness"  "Gerecht/igkeit"       Summe      Programm-Seiten Fairness-Faktor
Grüne 46 46 92 108 1,2
NEOS 11 9 19 42 2,2
SPÖ 8 18 25 70 2,7
ÖVP 15 6 21 57 3,8
FPÖ - - - - -

 

 

melz Rechtsanwälte O

 

 

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