Diversion: Alternative Beendigung von Strafverfahren
1. Auf den Punkt gebracht
Die Diversion bietet für den Beschuldigten einer Straftat oft die letzte Chance, wenn auch nicht ungeschoren, so doch noch mit einem blauen Auge davonzukommen. Das Strafverfahren endet dabei nicht mit einer Gerichtsverhandlung inklusiver potenzieller Verurteilung und Strafe, sondern damit, dass sich der Beschuldigte freiwillig gewissen belastenden Maßnahmen unterwirft, etwa der Leistung gemeinnütziger Arbeit. Das Recht des Beschuldigten auf eine diversionelle Beendigung des Strafverfahrens kann dieser mittels verschiedener Rechtsbehelfe gerichtlich durchsetzen. Von Matthias Hassenbauer und Dorian Schmelz.
2. Was ist die Diversion?
Bei der Diversion handelt es sich um eine alternative Reaktion des Staates auf leichte und mittelschwere Straftaten. Sie bietet die Möglichkeit, ein Strafverfahren zu beenden, ohne, dass ein Strafgericht über die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten entscheidet. Stattdessen unterwirft sich der Beschuldigte freiwillig gewissen für ihn belastenden Maßnahmen.
In den letzten Jahren ging die Tendenz immer stärker in Richtung des Ausbaues des Instituts der Diversion. Diese bietet nämlich den Vorteil, destruktive und entsozialisierende Folgen der klassischen Sanktionen des Strafrechts, insbesondere der Haftstrafe, zu vermeiden. Gleichzeitig aber, kommt es dabei nicht zu einer Entkriminalisierung von Straftaten. Die Verantwortungsübernahme des Beschuldigten spielt hierbei eine wichtige Rolle und die Opferinteressen werden besonders berücksichtigt. Wie verschiedenste Untersuchungen zeigen, hat sich die Diversion in der Praxis sowohl aus Sicht der Täter als auch der Opfer und der Allgemeinheit bewährt.
Die Diversion spielt deshalb auch eine erhebliche Rolle im Alltag der Strafverfahren. Im Jahr 2022 gab es insgesamt 44.638 diversionelle Verfahrenserledigungen. Im Vergleich dazu gab es 34.923 erstinstanzliche Urteile, von denen es in 26.765 Fällen zu einer Verurteilung kam (vgl. Statistik Austria, Gerichtliche Kriminalstatistik 2021-2022 (2024) S. 14).
3. Was sind die Voraussetzungen für eine Diversion?
Da bei einer Diversion das Strafverfahren endet, ohne, dass ein Strafgericht über die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten entscheidet, kommt diese nur in Betracht, wenn mehrere Voraussetzungen vorliegen:
3.1 Hinreichende Klärung des Sachverhaltes
Eine Diversion kommt nur in Frage, wenn der Sachverhalt der Straftat hinreichend geklärt ist und die Staatsanwaltschaft auf Basis dieses geklärten Sachverhaltes grundsätzlich Anklage zu erheben hätte. Eine Verurteilung des Beschuldigten muss nahe liegen und es dürfen keine Gründe für eine anderweitige Einstellung des Verfahrens vorliegen. Eine diversionelle Erledigung scheite daher jedenfalls aus, wenn die Staatsanwaltschaft am Ende ihrer Erhebungen davon ausgeht, dass überhaupt keine Straftat begangen wurde bzw. eine solche nicht nachweisbar ist.
3.2 Keine spezial- oder generalpräventiven Bedürfnisse
Da heutzutage der primäre Zweck des Strafrechts in der Verhinderung neuer Straftaten gesehen wird, ist eine Diversion nur zulässig, wenn die klassischen Sanktionen des Strafrechts (insbesondere Geld- und Freiheitsstrafen) nicht geboten erscheinen, um den Beschuldigten von der erneuten Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
3.3 Keine schwere Straftat
Eine Diversion kommt bei schweren Straftaten nicht in Betracht. Dies ist dann der Fall, wenn die Tat des Beschuldigten mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, was etwa bei Delikten wie jenem des Mordes oder des Raubes der Fall wäre.
Weiters darf die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt haben. Eine Diversion ist ausnahmsweise doch zulässig, wenn ein Angehöriger des Beschuldigten fahrlässig getötet wurde und eine klassische Bestrafung des Beschuldigten aufgrund der schweren psychischen Belastung, welcher der Tod des Angehörigen beim Beschuldigten verursacht hat, nicht nötig erscheint. Das könnte der Fall sein, wenn ein Autofahrer aufgrund einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit einen Unfall herbeiführt, bei dem der angehörige Beifahrer getötet wird - ungewollt, aber fahrlässig, und mit in der Regel erheblich nachteiligen mentalen Folgen für den Täter verbunden.
Weiters ist bei dem Delikt des Amtsmissbrauchs eine Diversion nur eingeschränkt zulässig und bei Sexualdelikten ab einer Strafandrohung von mehr als drei Jahren gänzlich ausgeschlossen, etwa bei einer Vergewaltigung.
3.4 Keine schwere Schuld
Für die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens darf die sogenannte „Schuld“ des Beschuldigten nicht als schwer anzusehen sein. Für die Beurteilung der Schwere der Schuld kommt es auf die gesamten Umstände der Tat an, beispielsweise den durch sie verursachten Schaden, ob vorsätzlich oder bloß fahrlässig gehandelt wurde, wie rücksichtlos bzw. gewaltvoll das Vorgehen war oder auch die Beweggründe für die Tat. Diese im Strafrecht als Erfolgs-, Handlungs- und Gesinnungsunwert bezeichneten Umstände dürfen insgesamt nicht eine Höhe erreichen, die im Vergleich zu anderen Straftaten auffallend und ungewöhnlich ist (vgl. RIS-Justiz RS0116021).
Laut Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes liegt bei Fahrlässigkeitsdelikten - also Straftaten, die nicht vorsätzlich, sondern nur aufgrund mangelnder Sorgfalt begangen wurden - in der Regel kein schweres Verschulden vor (vgl. RIS-Justiz RS0128762).
3.5 Verantwortungsübernahme
Die Rechtsprechung sieht weiters die sogenannte Verantwortungsübernahme des Beschuldigten als unentbehrliche Voraussetzung für eine Diversion an. Darunter wird die innere Haltung des Beschuldigten verstanden Verantwortung für die ihm zur Last gelegte Tat zu übernehmen (vgl. RIS-Justiz RS0116299). Die Verantwortungsübernahme erfordert die innere Bereitschaft zur Schadensgutmachung oder zum Tatfolgenausgleich, welche nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist. Wer bestreitet, den ihm vorgeworfenen Sachverhalt faktisch begangen zu haben, zeigt kein Unrechtsbewusstsein, sodass eine Diversion diesfalls ausscheidet.
Die Bereitschaft des Beschuldigten zu einer diversionellen Vorgehensweise legt in der Regel nahe, dass die erforderliche Verantwortungsübernahme bei ihm vorhanden ist (vgl. RIS-Justiz RS0126734).
4. Welche Maßnahmen kommen bei einer Diversion in Frage?
Bei einer diversionellen Erledigung des Verfahrens unterwirft sich der Beschuldigte freiwillig gewissen für ihn belastenden Maßnahmen. Hierbei kann es sich um folgende Maßnahmen handeln:
4.1 Zahlung eines Geldbetrages
Eine häufige Diversionsmaßnahme insbesondere bei geringfügigen Straftaten ist die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages. Dieser ist binnen 14 Tagen ab Mitteilung der Staatsanwaltschaft zu zahlen, es kann aber unter Umständen ein Zahlungsaufschub oder eine Zahlung in Teilbeträgen gestattet werden. Zusätzlich zu diesen Geldbetrag ist in der Regel eine Schadensgutmachung zu leisten, sofern dem Opfer ein solcher entstanden ist.
4.2 Gemeinnützigen Leistungen
Bei der Diversionsmaßnahme der Erbringung von gemeinnütziger Leistungen hat der Beschuldigte in seiner Freizeit bei einer geeigneten Einrichtung unentgeltlich gemeinnützige Arbeit zu erbringen (z.B. in einem Tierheim, Sozialmarkt oder Altersheim). Zu deren Vermittlung werden in der Regel Sozialarbeiter eingesetzt. Zusätzlich ist in der Regel auch hier eine Schadensgutmachung oder ein sonstiger Tatausgleich zu leisten.
4.3 Probezeit
Eine weitere Möglichkeit, das Verfahren diversionell zu erledigen, ist, dass die Staatsanwaltschaft unter Bestimmung einer Probezeit von 1 bis 2 Jahren von der Verfolgung zurücktritt. In dieser Probezeit darf sich der Beschuldigte nichts zu Schulden kommen lassen.
Oftmals muss sich der Beschuldigte in Kombination zur Probezeit dazu verpflichten, sich während der Probezeit gewissen Pflichten zu unterwerfen (z.B. eine Ausbildung oder ein Anti-Aggressionstraining zu absolvieren) und sich von einem Bewährungshelfer betreuen zu lassen. Auch hier ist grundsätzlich wieder Schadensgutmachung oder ein sonstiger Tatausgleich zu erbringen.
4.4 Tatausgleich
Die letzte in der Strafprozessordnung vorgesehene Diversionsmaßnahme ist der sogenannte Tatausgleich. Hierbei hat sich der Beschuldigte mit den Ursachen der Tat auseinanderzusetzen, allfällige Folgen auszugleichen, insbesondere durch Schadenswiedergutmachung, sowie Verpflichtungen einzugehen, um zukünftig zur Tat führende Verhaltensweisen zu unterlassen.
Der Tatausgleich findet unter besonderer Einbeziehung der Opfer statt, insbesondere ist das Zustandekommen des Ausgleiches grundsätzlich von der Zustimmung der Opfer abhängig. Die Staatsanwaltschaft kann zur Unterstützung beim Zustandekommen eines Tatausgleiches zwischen Opfer und Beschuldigten sogenannte Konfliktregler heranziehen. Dabei handelt es sich um erfahrene Sozialarbeiter, die als neutrale Vermittler darauf hinarbeiten, einen Interessensausgleich herbeizuführen und die beide Seiten anleitet, eine einvernehmlichen Lösung des Konfliktes zu erarbeiten.
5. Wie kommt es zu einer Diversion?
Grundsätzlich liegt die Diversion in den Händen der Staatsanwaltschaft. Wenn aus ihrer Sicht der Sachverhalt der Straftat hinreichend geklärt ist und auch die anderen, bereits angeführten Voraussetzungen vorliegen, hat sie das diversionelle Verfahren einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft teilt dazu dem Beschuldigten mit, dass die Anklage gegen ihn wegen einer bestimmten Straftat beabsichtigt sei, diese aber unterbleiben werde, wenn der Beschuldigte bereit sei, der von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Diversionsmaßnahme zuzustimmen.
Sobald die Anklage von der Staatsanwaltschaft bei Gericht eingebracht wurde, liegt die Diversion nicht mehr in den Händen der Staatsanwaltschaft. Das Gericht hat ab diesem Zeitpunkt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen das Verfahren diversionell zu beenden. Die Staatsanwaltschaft kann dann nur mehr die Diversion bei Gericht beantragen, aber nicht mehr selbst verfügen.
Die Diversion ist immer von der Zustimmung des Beschuldigten abhängig, ohne der es zu keiner diversionellen Beendigung des Verfahrens kommen darf. Er kann jederzeit die Fortsetzung des Verfahrens verlangen. Damit bleibt sein Recht gewahrt, dass ein Gericht über den Tatvorwurf und eine mögliche Strafe entscheidet - letztlich ist es ja möglich, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat gar nicht begangen hat und seine Sache daher durch Freispruch zu erledigen ist.
6. Wie geht es nach der Diversion weiter?
Hat der Beschuldigte seine jeweilige Diversionsmaßnahme geleistet (den Geldbetrag gezahlt, die gemeinnützige Leistung erbracht, die Probezeit inklusive allfälliger Pflichten absolviert oder die Tatausgleichsvereinbarung eingehalten), tritt die Staatsanwaltschaft endgültig von der Verfolgung zurück. Das Strafverfahren gegen den Beschuldigten ist damit beendet und er hat grundsätzlich keine Anklage mehr zu befürchten. Nach der diversionellen Beendigung des Verfahrens gilt weiterhin die Unschuldsvermutung für den Beschuldigten, der keinen Antrag im Strafregister (jedoch in einem nicht öffentlich einsehbaren Register diversioneller Erledigungen) erhält.
Verstößt der Beschuldigte gegen die Diversionsmaßnahmen bzw. erbringt er diese nicht, ist in der Regel das Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft vorzusetzen.
7. Gibt es ein Recht auf Diversion?
Wenn weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht dem Beschuldigten ein Diversionsangebot machen, obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen, kann der Beschuldigte die Diversion beantragen. Wird dieser Antrag abgewiesen, kann dagegen der Rechtsbehelf der Beschwerde erhoben werden. Solange über die Beschwerde nicht entschieden wurde, darf keine Hauptverhandlung durchgeführt werden.
Wird, obwohl alle Voraussetzungen für eine Diversion vorliegen, vom Gericht ein Urteil gefällt und der Beschuldigte schuldig gesprochen, begründet das einen Nichtigkeitsgrund. Nach Erhebung eines Rechtsmittels gegen das Urteil ist dieses vom Instanzgericht aufzuheben und das erstinstanzliche Gericht hat das Verfahren diversionell zu erledigen.
Wichtig anzumerken ist an dieser Stelle noch, dass der Beschuldigte zwar ein Recht auf eine Diversion, jedoch kein Recht auf eine bestimmte Diversionsmaßnahme hat. Er kann daher eine aus seiner Sicht unangenehmere Maßnahme nicht abwenden, um eine für ihn angenehmere Maßnahme zu erlangen.
8. Wir helfen weiter
Die Diversion ist eine bedeutende Chance im Strafrecht, die oft die letzte Möglichkeit für Beschuldigte darstellt, ohne formelle Verurteilung davonzukommen. Wenn Sie oder ein Angehöriger ein Diversionsangebot der Staatsanwaltschaft erhalten haben oder sich in einem Verfahren befinden, das möglicherweise diversionell beendet werden kann, ist anwaltliche Unterstützung entscheidend. Auch Opfer von Straftaten sollten nicht auf rechtlichen Beistand verzichten. Kontaktieren Sie uns für kompetente Hilfe, egal ob als Opfer oder Beschuldigter. Wir stehen Ihnen bei allen strafrechtlichen Angelegenheiten zur Seite.